Rezension

Ars Bibliopolae oder die Kunst des Buchhandels

Das Haus der vergessenen Bücher - Christopher Morley

Das Haus der vergessenen Bücher
von Christopher Morley

Bewertet mit 4.5 Sternen

An die Buchhändler! Den höchst Ehrenwerten sei kund und zu wissen, dass Ihnen dieses kleine Buch in achtungsvoller Gewogenheit zugeeignet ist. (Christopher Morley, Philadelphia, 28. April 1919)

Brooklyn, kurz nach Beendigung des ersten Weltkriegs. In einer ruhigen Nebenstraße führt Roger Mifflin ein ganz außergewöhnliches Antiquariat. Außergewöhnlich nicht nur wegen seiner Auswahl, sondern auch wegen Mr. Mifflin selbst, der sein ganzes Leben seinen Büchern verschrieben hat. Der um die große Kraft der Literatur weiß und um das, was sie für jeden Menschen bedeutet.

»Geistige Unterernährung ist ein ernstes Leiden.«

Mifflin sieht sich gerne als einen Arzt und seine Kunden als seine Patienten:

»Ich mache mir die Freude, meinen Patienten Bücher zu verschreiben, jenen Kunden also, die bereit sind, mir ihre Symptome zu nennen. Manche Leute haben ihre Lesefähigkeit verkümmern lassen, sodass mir nur noch die Autopsie bleibt. Die meisten aber sich noch heilbar. Niemand ist so dankbar wie der Mensch, dem man genau das Buch gegeben hat, das seine Seele brauchte, obgleich er es nicht wusste.«

 

Mifflins erstaunliche Buchhandlung betritt eines Abends ein junger Werbetexter namens Aubrey Gilbert. Ursprünglich nur auf der Jagd nach einem neuen Auftrag findet er sich unversehens wieder in einer Welt, in der sich alles nur noch um Bücher dreht. In den folgenden Tagen wird er mehr über Literatur erfahren, als viele Menschen in ihrem gesamten Leben. Eine junge Gehilfin im Buchladen wird ihm den Kopf verdrehen und er wird hineingezogen werden in eigenartige Vorfälle, die sich um das Verschwinden eines Buchs drehen…

 

Unglaublich. Als ich gerade mal das erste Kapitel beendet hatte, hatte ich mir schon so viele Textstellen notiert, wie manches andere Mal erst nach Beenden eines kompletten Buchs. Ich las sie mehrfach, einfach weil sie so schön waren und konnte mich auch nicht beherrschen, sie meinen Familienmitgliedern vorzulesen. Natürlich kann ich im Rahmen dieser Rezi auf einige Zitate ebenso wenig verzichten…

»Die wahren Bücherfreunde sind gewöhnlich Menschen, die aus einfachen Verhältnissen stammen. Jemand, der sich für Bücher begeistert, hat weder die Zeit noch die Geduld, Reichtümer zu erwerben und ständig darüber nachzusinnen, wie er seine Mitmenschen übers Ohr hauen kann.«

»Das Leben in einer Buchhandlung ist wie das Leben in einem Munitionslager. Diese Regale sind angefüllt mit dem gefährlichsten Sprengstoff der Welt – dem menschlichen Geist.«

»Mein lieber junger Mann, wer bereit ist zu sterben, ehe er dieses Buch … gelesen hat, vergibt wissentlich alle Chancen auf das Paradies. Denn das Paradies im Jenseits ist zwar ungewiss, fest steht aber, dass es einen Himmel auf Erden gibt, einen Himmel, den wir bewohnen, wenn wir ein gutes Buch lesen.«

»Es ist geradezu unheimlich, ein bedeutendes Buch in seinem Lauf zu beobachten – es folgt einem unablässig, treibt einen in die Enge und zwingt einen, es zu lesen. … Deshalb sage ich, dass es hier spukt – mein Laden ist voll von den Geistern der Bücher, die ich nicht gelesen habe. Armen ruhelosen Geistern, die immer um mich herum sind. Es gibt nur eine Möglichkeit, den Geist eines Buches zu bannen – man muss es lesen.«

»Eins allerdings muss man dem guten Buchhändler zugestehen. Er ist tolerant. Er hat Geduld mit allen Ideen und Theorien. Umgeben von den Fluten menschlicher Worte, die ihn zu verschlingen drohen, ist er bereit, sich alle anzuhören. Selbst dem Verlagsvertreter leiht er nachsichtig sein Ohr. Er ist bereit, sich zum Wohle der Menschheit hereinlegen zu lassen. Unablässig hofft er auf die Geburt guter Bücher.«

Ich finde, wenn man Bücher liebt, geht einem beim Lesen dieser Zitate einfach das Herz auf. Daher musste ich sie bringen um den wunderbaren Stil zu beschreiben, in dem das Buch verfasst ist. Die Räumlichkeiten des Antiquariats habe ich richtig vor mir gesehen! Und konnte mich gar nicht sattlesen an Mifflins Monologen über seine geliebten Bücher. Allerdings: Lesen und die Liebe zum Buch zu bewundern ist eine Sache, alles zu verstehen, was Mifflin so sagt, eine andere. Wie gern hätte ich so viel Zeit und Muße, um so manche der aufgeführten Werke nachzulesen! Ich denke, der Autor wusste um die Unmöglichkeit für den Normalleser, allen Gedankengängen seines Protagonisten folgen zu können. Ein Kapitel, in dem Mifflin sich zu einem gemütlichen Gedankenaustausch mit anderen Buchhändlern trifft, versah er mit der Fußnote:

»Leser, die keine Buchhändler sind, können sich die zweite Hälfte dieses Kapitels schenken.«

Sicher wird es niemanden verwundern, dass ich weiterlas, obwohl ich keine Buchhändlerin bin ;-)

 

Was die übrige Handlung angeht, kann ich nur sagen, dass – egal, ob es sich um Romantik, Politik, die Werbebranche oder Verschwörungstheorien handelt – die Welt der Bücher stets im Zentrum des Ganzen steht.

 

Fazit: Mir brachte dieses Buch ein großes und kurzweiliges Lesevergnügen. Wer Bücher liebt, wird auch dieses Buch lieben.

 

Und nach dieser Rezi voller Zitate wird es niemanden erstaunen, dass ich noch ein weiteres anbringen möchte:

»Als ich Sie hereinkommen sah«, fuhr Mifflin fort, »fürchtete ich, Sie könnten ein Journalist sein, der mich interviewen wollte. Einmal besuchte uns ein junger Zeitungsmensch mit sehr bedauerlichen Folgen. Er schmeichelte sich bei Mrs. Mifflin ein und schrieb danach ein Buch über uns, das mich auf eine harte Probe stellte. In diesem Machwerk legt er mir eine Anzahl seichter und süßlicher Betrachtungen über den Buchhandel in den Mund. Erfreulicherweise hat er nur wenige Exemplare davon unter die Leute bringen können.«

Was dieses Zitat so amüsant macht, ist die Tatsache, dass Christopher Morley für die New York Evening Post schrieb und bei Erscheinen dieses Buchs 29 Jahre alt war. Also ein junger Zeitungsmensch, gewissermaßen ;-) Und ich muss jetzt dringend den Geist des nächsten Buchs bannen, der mich bedrängt!