Rezension

Das Böse lauert unter der Oberfläche

Das Falsche in mir - Christa Bernuth

Das Falsche in mir
von Christa Bernuth

Bewertet mit 4 Sternen

Was für ein Buch! Was für ein sehr seltsames, unglaubliches Buch. Ich bin hin- und hergerissen, aber eines ist sicher: Ich werde es so schnell nicht vergessen, weil es mir einfach immer wieder zu denken geben wird.

Kommen wir zur Handlung: Lukas Salfeld ist Anfang 50, ein gestandener Mann mit Frau und zwei pubertierenden Töchtern. Jemand, der so unscheinbar wie unauffällig ist, gut im Job, keine Führungsperson. Kein Männchen, aber auch kein Alphatier, kurz: völlig unauffällig. Mein Nachbar, der immer freundlich grüßt. Oder deiner. Oder der von der anderen Straßenseite. Doch dieser Mann ist nicht wie du (oder vielleicht doch, wer weiß das schon, ich kann nicht in deinen Kopf hineinsehen ;D) oder ich. Denn Lukas Salfeld ist ein Mörder. Er hat mit 17 seine damalige Freundin umgebracht und dafür 10 Jahre im Gefängnis gesessen. Schlimmer noch. Seitdem er denken kann, beherrschen ihn Tötungsphantasien. Er sieht sich selbst, wie er weiße, junge Mädchenleiber mit einem Messer aufschlitzt, die roten Tropfen herausquellen und ... Und er kämpft dagegen an. In seiner Brust, ach, schlagen zwei Herzen. Das gute, das weiß, das es so sehr falsch ist und das andere, das töten will, töten, töten!

Und plötzlich sterben in seiner Nähe Mädchen, auf genau die Art, von der er träumt. Alles weist auf ihn, zumal er sich selbst nicht genau erinnern kann. War er es? Als die Polizei ihn abholen kommt, flieht er, aber er kann nicht vor sich selbst fliehen und vor allem nicht vor dem, was in ihm ist. Oder ist da noch jemand draußen, der genauso tickt?

Auffällig an diesem Buch sind gleich mehrere Sachen. Erst einmal das Thema an sich. Endlich, möchte man sagen, nimmt sich jemand dieser Sache an. Ich weiß nicht, ob es Studien über Menschen wie Salfeld gibt, aber Tatsache ist, es gibt diese Menschen. Und was sollen sie machen? Sie können niemandem von ihrem Problem erzählen, sie können kämpfen, sich gegen ihre Triebe wehren, aber kann ihnen wirklich jemand helfen? Wir steigen direkt in Salfelds Kopf, lassen uns von seinen Gedanken mitnehmen und Kompliment an die Autorin: Ihre Schreibe entwickelt einen Sog, der immer tiefer reinzieht, zumal wir Salfeld aus der Ich-Perspektive miterleben dürfen.
Im Gegensatz dazu steht die Ermittlerin Sina Rastegar, der wir uns ebenfalls eng annähern dürfen, doch aus der Perspektive der dritten Person. Somit werden klare Grenzen zwischen diesen beiden Leuten geschaffen, trotzdem stechen beide für sich klar hervor.
Zwischendurch gibt es die Perspektiven des Mörders und verschiedenen Opfern aus verschiedenen Zeitebenen und das alles zusammen macht dieses Buch einzigartig.

Warum bekommt es dann nicht die volle Punktzahl? Für mich persönlich hat Frau Bernuth zu viel Wichtiges unterbringen wollen. Sie verbindet einen alten Mordfall von vor 35 Jahren mit einem Kinderschänderring, der bis in die heutige Zeit aktiv ist, lässt sämtliche Mitwirkenden des Buches auf die eine oder andere Art damit verbunden sein. Ja, das stört mich, weil es den Fokus immer wieder auf etwas anderes richtet und vor allem gelegentlich zu konstruiert erscheint. Ich würde lieber einen zweiten Fall von Sina Rastegar lesen, indem sie diesen Kinderschänderring sprengt oder sich zumindest mit diesem ebenso wichtigen Thema beschäftigt.

Trotzdem und als unabänderliches Fazit: Opferschutz beginnt bereits damit, potenziellen Tätern, die gegen ihre Triebe ankämpfen, in irgendeiner Form Hilfe zukommen zu lassen.

Ein hochinteressantes, brisantes Buch, das es wert ist, gelesen und reflektiert zu werden.