Rezension

Dunkle Zukunft unter dunklem Himmel

Dark Canopy - Jennifer Benkau

Dark Canopy
von Jennifer Benkau

Pro:
Das Buch greift direkt zwei Themen auf, die an sich nicht unbedingt neu sind.

Das erste Thema hat im Genre Science Fiction schon fast Tradition:
Körperlich und geistig überlegene Supermenschen - hier die Percents - werden gezüchtet und dann gnadenlos als Soldaten und entbehrliche Arbeitskräfte ausgenutzt. Sie erhalten keinerlei Rechte und werden gezwungen, sogar Aufgaben zu übernehmen, die bekanntermaßen lebensgefährlich sind - wie z.B. Arbeiten in radioaktiv verseuchten Gebieten. Schließlich lehnen sich die Percents erfolgreich gegen ihre Herrscher auf und drehen den Spieß um: jetzt sind es die Menschen, die gnadenlos unterdrückt und mitunter auch getötet werden. "Dark Canopy" beginnt einige Zeit nach der Machtübernahme und spielt dadurch in einer Welt, in der die Percents die Tyrannen und die Menschen die verachtete Unterschicht sind.

Auch das zweite Thema kam mir bekannt vor:
Die Percents veranstalten einmal im Jahr das Chivvy, eine Hetzjagd auf Menschen - zur Unterhaltung der Zuschauer, und um die Menschen daran zu erinnern, wie machtlos sie sind. Das hat mich an die Hungerspiele von Panem erinnert, die ja aus ähnlichen Gründen stattfinden!

Warum steht das also unter "Pro" und nicht unter "Kontra"? Weil die Autorin diese altbekannten Ideen frisch und interessant als Jugendbuch verpackt, bei dem ich persönlich nie das Gefühl hatte, das hätte ich schon tausendmal gelesen. Außerdem: auch wenn ein Thema nicht neu ist, kann es doch ein interessantes Thema sein, das viele ethische Fragen über Gewalt und Gegengewalt aufwirft! Dazu kommt noch ein bisschen Romantik, und die Mischung funktioniert einfach wunderbar. Außerdem bringt die Autorin ein paar interessante Ideen ein, wie z.B. die Technologie, mit der die Percents den Himmel verdunkeln, weil sie das Sonnenlicht nicht vertragen - eben "Dark Canopy" -, oder die Gesellschaftsstruktur der Percents, die sehr an die Kultur der Spartaner erinnert.

Joy ist ein erstaunlicher Charakter - erstaunlich deshalb, weil sie mich oft überraschen konnte, und das nicht immer 100%ig positiv. Aber ich mag Charaktere, die wirkliche Ecken und Kanten haben, und die hat sie! Z.B. musste ich in einer Szene erstmal schlucken, in der sie ganz selbstverständlich mit Sex dafür bezahlt, dass ihr jemand hilft. Das wirkte auf mich im ersten Moment berechnend und kalt, aber dann wurde mir klar, dass es eigentlich nur realistisch ist. Joy ist in einer Welt aufgewachsen, in der Menschen wahrscheinlich viel schlimmere Dinge für ihr Überleben tun und opfern, und kann man ihr dafür wirklich Vorwürfe machen? Sie kann hartherzig und grausam sein, ein Produkt ihrer zerissenen Welt.

Sie hat aber auch viele positive Eigenschaften: sie ist entschlossen und mutig, einfallsreich und geschickt... Und sie ist loyal. Für ihre Freunde ist sie bereit, sich selbst in Gefahr zu begeben, auch wenn die Chancen katastrophal schlecht stehen. Aber am wichtigsten: sie hat anfangs verständlicherweise viele Vorurteile, weil sie ihr ganzes Leben lang unter den Percents gelitten hat. Aber sie schafft es im Laufe des Buches immer mehr, über ihren Schatten zu springen und zu erkennen, dass nichts im Leben wirklich schwarz-weiß ist.

Der junge Percent Neel, dem Joy in die Hände fällt, wirkt anfangs wie ein grausamer, gefühlloser Fiesling - das aber zum Teil deshalb, weil Joy ihn so sehen will, weil sie nichts anderes von einem Percent erwartet. Es wird allerdings relativ schnell klar, dass mehr hinter der kalten Fassade steckt!

Die Passagen, die aus Joys Sicht geschrieben sind, waren für mich meist sehr spannend und ich fand es dann schwer, das Buch auch mal wegzulegen! Ein Teil der Spannung entstand aus der unheilvollen Erwartung auf das Chivvy, sozusagen das große Finale (und diese Spannung ist im Endeffekt leider etwas verpufft, s. "Kontra") - aber viel von der Spannung kam auch aus der Interaktion zwischen Joy und Neel. Sehr gut fand ich dabei, dass sich das Ganze nicht direkt zur Liebesgeschichte entwickelt; dazu steht zwischen den Beiden einfach zu viel an Vorurteilen und problematischer Geschichte. Sowas passiert nicht über Nacht, und deswegen war ich froh, dass die Autorin dieser Entwicklung viel Zeit gibt. Dann fand ich die Liebesgeschichte aber auch sehr schön!
Der Schreibstil hat mir gut gefallen. Alle Szenen konnte ich mir gut vorstellen und vor mir sehen, und ich gewann schnell ein Gefühl für die verschiedenen Charaktere, die Geschichte dieser Welt, die politischen Spannungen etc.

Kontra:
Joy muss am Chivvy teilnehmen und bereitet sich eine laaaaange Zeit darauf vor... Sie trainiert ihre Schnelligkeit, ihre Ausdauer, ihre Fähigkeit, einen Gegner zu entwaffnen - und so weiter und so fort. Diese Jagd ist etwas, das ständig drohend im Hintergrund lauert, darauf scheint die ganze Geschichte hinauszulaufen... Und als der Tag der Jagd dann tatsächlich kommt, geht alles unglaublich schnell und wird auf wenigen Seiten abgehandelt. Für mich war das sehr enttäuschend und antiklimatisch - obwohl es anders ausging, als ich erwartet hatte.

Der Rebell Matthial war ein Charakter, mit dem ich einfach nicht warm wurde. Ich kann nicht mal sagen, woran es genau lag, aber immer, wenn die Perspektive und der Fokus der Geschichte zu ihm wechselte - er spielt eine größere Rolle -, hätte ich am liebsten weitergeblättert, weil mich diese Passagen gelangweilt haben.

Im Endeffekt habe ich mir irgendwie mehr von der Handlung erwartet - es kommt mir so vor, als wäre am Schluss unterm Strich wesentlich weniger tatsächlich passiert, als die Handlung anfangs versprach.

Zusammenfassung:
Wer Dystopien mit einer Prise Romantik mag, sollte "Dark Canopy" eine Chance geben! Zugegeben, das Buch hat seine Schwächen: manchmal verpufft die Spannung etwas, mit einem der Charaktere konnte ich nur wenig anfangen und wenn ich jetzt zurückblicke, gab es in manchen Passagen relativ wenig tatsächliche Handlung... Aber es hat auch seine Stärken: allen voran die beiden Protagonisten Neel und Joy, der gelungene Schreibstil und die vielen interessanten Ideen und Details. Im Ganzen hat mir das Buch sehr gut gefallen und ich werde auf jeden Fall auch den zweiten Band lesen!