Rezension

Ein interessantes Gedankenexperiment, dessen Potential nicht ausgeschöpft wurde.

Der Platz an der Sonne - Christian Torkler

Der Platz an der Sonne
von Christian Torkler

„Es ist schon eigenartig. Wenn ich euch rausschmeiße, fragt mich keiner, warum ich das tue. Ist ja meine Scheune und somit mein gutes Recht. Sogar der Herr Pfarrer würde das verstehen. Doch wenn ich euch was zu essen und zu trinken gebe, dafür brauche ich einen guten Grund. Sollte es nicht umgekehrt sein?“
Seite 327

Josua Brenner kommt 1978 in Berlin auf die Welt. In einem „anderen“ Berlin, zerstört vom dritten Krieg. Das Einzige, was funktioniert, ist das Verbrechen und die Korruption. Nach der Schulzeit versucht er, sich mit ehrlicher, harter Arbeit etwas zu verdienen, um sich und seiner Familie ein gutes Leben zu ermöglichen. Nach jedem Rückschlag rappelt er sich wieder auf und beginnt von vorne – bis er eines Tages genug hat und versucht, ins reiche Afrika zu gelangen.

Es ist eine fiktive Welt, in die uns Christian Torkler in „Der Platz an der Sonne“ führt. Eine Welt, in der die Menschen in Deutschland in Armut und schrecklichen Verhältnissen leben, Plumpsklos im Hof, kaum medizinische Versorgung, Bestechung überall. Politische Gegenbewegungen werden mit Gewalt niedergeschlagen. Manchmal werden kleine „Geschichtsbrocken“ gestreut, um ein wenig zu erklären, wie es dazu kam. Prägend war für mich die Trostlosigkeit, die über allem liegt.

Als Erzähler führt uns Brenner in der Ich-Perspektive durch das Buch. Er ist ein Anti-Held, der hart an der Grenze zur Legalität agiert, sich manchmal auch durch die Umstände dazu gezwungen sieht, offizielle Wege zu umgehen, um zu seinem Ziel zu gelangen. Seine Sprache ist gewöhnungsbedürftig, derb und von Schimpfwörtern geprägt, hinter denen sich oft eine Botschaft versteckt.

„Und unterm Strich gleicht sich alles aus? Was ist das für ein Mist! Das Leben ist keine beschissene Buchhaltung. Außerdem, wenn am Ende sowieso alles gleich ist, muss sich ja auch nichts ändern. Muss keiner seinen faulen Arsch hochkriegen, um  was anders zu machen. Was für ein Schwachsinn!“ – Seite 249

Egal, wie hart ihm das Schicksal und andere Menschen mitspielen, er rappelt sich immer wieder auf und versucht es mit Schwung nochmal… Bis er eines Tages genug hat und es einem Freund nachmachen will: Ab ins gelobte Land, wo es allen besser geht, ab nach Afrika!

Seine Flucht ist geprägt von zwei Extremen: Zwielichtigen Schleppern, bestechlichen Grenzbeamten und Soldaten, die sie berauben auf der einen, und Menschen, die ihnen ohne offensichtlichen Grund Haus und Hof öffnen, zu Essen geben und ihnen weiterhelfen auf der anderen Seite. Sein Weg ist beschwerlich, lebensgefährlich und immer wieder muss er von liebgewordenen Weggefährten Abschied nehmen. Am Ende holt ihn die Realität ein, aber Brenner wäre nicht Brenner, wenn er nicht weiterträumen würde…

Mich lässt „Der Platz an der Sonne“ etwas ratlos zurück. Erst Mal haben wir Brenners Leben in Berlin, teils sehr langatmig mit vielen Wiederholungen. Ob uns der Autor damit die Eintönigkeit vor Augen führen will? 
Nach langen 300 Seiten beginnt Brenners Flucht, die Geldbeschaffung gestaltet sich als langwierig, aber weitere Details zur Vorbereitung bleibt uns der Autor schuldig. 
Die Flucht ist hochdramatisch und oft nahe an dem, was Flüchtende in den letzten Jahren und leider auch heute noch jeden Tag erleben müssen. Manchmal bleibt nur noch, einen Fuß vor den anderen zu setzten und sich nicht umzudrehen, um nicht sehen zu müssen, wer hinter einem bleibt. Diese Abschnitte haben mich sehr berührt und auch zum Nachdenken angeregt. Sie wechseln sich ab mit sich wiederholenden Strecken in klappernden Bussen.
Immer wieder hat Brenner großes Glück – und genauso oft großes Pech. Manchmal hätte ich gern etwas mehr von ihm gespürt, so langatmig das Buch teilweise ist, Anmerkungen zu seinen Gefühlen macht Brenner nicht. Manchmal erkennt man erst im Nachhinein an Kommentaren seiner Freunde, wie schlecht es ihm gegangen ist. Dadurch haben mich auch schreckliche Ereignisse oft erstaunlich wenig berührt - und ich lasse mich an sich gerne kopfüber in Bücher fallen und fiebere wirklich mit.
Dadurch hat mich diese Geschichte nicht wirklich gekriegt, sie liest sich – für das Thema – oft zu leicht weg, ohne großen Eindruck zu hinterlassen. Schade.

Fazit: Ein interessantes Gedankenexperiment, dessen Potential nicht ausgeschöpft wurde.