Rezension

Ein Leben für die Wissenschaft

Das Wesen der Dinge und der Liebe - Elizabeth Gilbert

Das Wesen der Dinge und der Liebe
von Elizabeth Gilbert

Alma Whittaker wird im Jahr 1800 in Philadelphia als Tochter eines reichen englischen Pflanzenhändlers und einer intellektuellen Mutter aus einer holländischen Botaniker-Familie geboren. Ihr wird die beste Bildung zuteil. Alma hungert danach, das Wesen der Dinge bis ins Innerste zu verstehen. Ihre ganze Leidenschaft gilt von klein auf der Botanik. Vor allem den Moosen widmet sie lebenslange Studien. Höhepunkt ihrer wissenschaftlichen Laufbahn ist die Entwicklung einer revolutionären Theorie  der natürlichen Selektion, die mit den zeitgleichen Lehren von Darwin und Wallace übereinstimmt. Alma veröffentlicht sie nur deshalb nicht, weil sie letzte Zweifel nicht beheben kann (Wie sind Nächstenliebe und Selbstlosigkeit wissenschaftlich zu erklären?). Während ihre wissenschaftliche Laufbahn für Alma höchst befriedigend verläuft, findet sie im privaten Leben wenig Erfüllung. Gefühle spielen schon in ihrer Erziehung keine Rolle. Zu ihrer Adoptivschwester hat sie ein distanziertes Verhältnis – wenngleich die Schwester, wie Alma erst nach Jahrzehnten erfährt, zugunsten Almas auf ihre große Liebe verzichtet, die dann aber auch Alma nicht heiratet. Alma bleibt eine alte Jungfer und heiratet erst im fortgeschrittenen Alter einen jüngeren Mann. Dieser will nur eine reine Beziehung ohne körperliche Liebe, nach der sich Alma zeitlebens immer gesehnt hat, so dass sich Alma von ihm trennt. Ihre Liebe gilt ihm aber nach wie vor. Sexuelle Erfüllung findet Alma ihr gesamtes Leben in der Selbstbefriedigung, die zur Sucht wird. Almas Bilanz als 82jährige ist dennoch: „Ich bin glücklich, weil ich mein ganzes Leben damit verbringen durfte, die Welt zu studieren.“

 

Die Autorin knüpft an ihren Bestsellerroman „Eat, Pray, Love“ an und präsentiert nunmehr ein wunderbares Portrait einer starken Frau des 19. Jahrhunderts. Das Buch ist eine Mischung zwischen Liebesgeschichte und Sachbuch. Alma Whittakers persönlicher Werdegang in Liebesdingen ist sehr berührend. Almas zufriedener Rückblick auf ihre Lebensgeschichte im hohen Alter mag sicherlich auch anders beurteilt werden. Immerhin bleiben Alma Schönheit, körperliche Liebe, eine erfüllte Ehe und eigene Kinder versagt. Die Textpassagen mit botanischem Hintergrund sind sehr detailreich, informativ und gut recherchiert. Nicht nur Botanik-Experten werden begeistert sein von den Exkursionen zu Orchideen, Farnen und Moosen. Allerdings sind diese Passagen für den Laien nicht unbedingt leicht verständlich geschrieben. Das gleiche gilt für andere wissenschaftliche Ausführungen wie etwa die Evolutionstheorie. Zum Glück wechseln sich derlei Passagen regelmäßig mit Dialogen und Gedanken der Romanfiguren ab, so dass der Lesefluss nicht allzu sehr beeinträchtigt wird.

Ein Lob verdient die liebevolle äußere Gestaltung des Buches. Die moosgrüne Bindung passt zu Almas Leidenschaft, den Moosen. Auf dem Einband findet sich ein wunderschönes, buntes florales Motiv („Fleurs exotiques“ von Jean Benner). Im Buch selbst sind ganzseitige Schwarz-Weiß-Illustrationen von Pflanzen mit deren lateinischer Betitelung eingestreut (die passenderweise vielleicht besser der Welt der Moose hätten entnommen werden sollen).

 

Ein wirklich empfehlenswertes Buch, zu dessen Lektüre man angesichts seines Umfangs von 700 Seiten Zeit mitbringen sollte.