Rezension

Interessanter historischer Roman

Schloss Liebenberg. Hinter dem hellen Schein. -

Schloss Liebenberg. Hinter dem hellen Schein.
von Hanna Caspian

Bewertet mit 4.5 Sternen

Hinter dem hellen Schein - in mehrfacher Hinsicht...

„Schloss Liebenberg – Hinter dem hellen Schein“ ist das erste Buch von Hanna Caspian, dass ich gelesen habe (die auf der SPIEGEL-Bestsellerliste stehende Familiensage „Gut Greifenau“ kenne ich bisher nicht).

„Hinter dem hellen Schein“ ist der Auftaktband einer Trilogie und endet (natürlich, als geübte LeserIn ahnt man es schon) mit einem Cliffhanger! Aber der 2. Band soll wohl schon im März 2023 erscheinen...

Der Handlungsort ist Schloss Liebenberg in Brandenburg, im Jahr 1906. Der Besitzer ist Philipp Fürst zu Eulenburg und Hertefeld, ein guter Freund von Kaiser Wilhelm II. Der Untertitel „Hinter dem hellen Schein“ ist m.E. gut gewählt, denn die Autorin widmet ihr Buch den Menschen „die viel Arbeit und Leid auf sich genommen haben, um ihren Nachkommen ein besseres Leben zu ermöglichen. Aus diesem Grund wird die Geschichte auch rein aus der Perspektive der ‚kleinen Leute‘, der Dienstboten, erzählt.“ (Widmung, S. 5) – also die, die hinter dem hellen Schein arbeiten…

Die Idee fand ich faszinierend – und die Autorin hält ihren Vorsatz konsequent durch: wir LeserInnen bekommen tatsächlich nur die Informationen, über die auch die Angestellten verfügen.

Aber auch bei „Fürstens und Kaisers“ gibt es so einige dunkle Schatten „hinter dem hellen Schein“: die Eulenburg-Harden-Affäre beginnt zu brodeln (lt. Wikipedia: “Die Eulenburg-Affäre gilt als ein Beispiel für Vorurteile und Heuchelei, die als Mittel für politische Zwecke genutzt wurden.“) … Die Bediensteten erfahren nur wenig bis gar nichts über den „Skandal“, die Diener hören evtl. Satzfetzen, wenn sich die „Herrschaft“ unterhält oder sie sich von ihrem knappen Lohn Zeitungen kaufen (für 50 Pfennig – sehr viel Geld damals), die nicht im Schloss abonniert sind…

Die Hauptprotagonisten sind gut gewählt und durchdacht: vertreten sie doch unterschiedliche Motivationen und konträre Familienverhältnisse: Adelheid entstammt einer Tagelöhnerfamilie und muss mit ihrem Verdienst ihre gesamte Familie ernähren, sie trifft ihre Degradierung vom Stuben- zum Hausmädchen finanziell besonders hart („Drei Mark und sechzig Pfennige im Monat weniger – in Essen gerechnet waren das ungefähr ein Kilo Butter, zwei Kilo Brot, vier Liter Milch und sechs Eier weniger.“ S. 200). Hedda hat schon in diversen Haushalten als Haus- und Stubenmädchen „gedient“, sie träumt davon, nach Amerika auszuwandern und spart dafür jeden Pfennig. Viktor kommt aus „besseren Kreisen“: sein Vater ist Gymnasiallehrer gewesen, hat aber wegen „Majestätsbeleidigung“ vier Monate im Gefängnis gesessen und findet deshalb in ganz Preußen keine Anstellung mehr, so dass auch Viktor seine Familie finanziell unterstürzen muss.

Wir erleben mit, wie sehr die Bediensteten ihren „Herrschaften auf Gedeih und Verderb“ ausgeliefert sind: niemals hatte die Fürstenfamilie Schuld an misslichen Ereignissen, sondern immer nur die Angestellten – auch wenn sie gar nicht anwesend waren – und sie konnten ohne triftigen Grund von einer Minute zur nächsten auf die Straße gesetzt werden – ohne Geld, ohne Zeugnis, so dass auch eine neue Anstellung nicht zu finden ist… Deshalb herrscht Angst, Neid und gegenseitiges Misstrauen in den Dienstzimmern, keinerlei Spur von Mitgefühl. Aber hier macht der Schluss des Buches etwas Hoffnung: es keimt ein ganz zartes Pflänzchen der Solidarität…

Meine Erwartungen an dieses Buch haben sich erfüllt, ich habe viel erfahren, was „hinter dem hellen Schein“ geschieht und bin jetzt einfach neugierig, wie es mit der Eulenburg-Harden-Affäre auf Schloss Liebenberg weitergeht (klar, die „trockenen“ Fakten kenne ich mittlerweile) und wie dieser „Skandal“ das Leben von Adelheid, Hedda und Viktor beeinflussen wird. Aus diesem Grund kann ich das Buch geschichtsinteressierten LeserInnen mit gutem Gewissen weiterempfehlen.

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