Rezension

Ivys Schicksal

Das Haus der Verlassenen - Emily Gunnis

Das Haus der Verlassenen
von Emily Gunnis

Bewertet mit 5 Sternen

1956 Sussex/England. Die unverheiratete 20-jährige Ivy Jenkins ist schwanger, und ihr Freund hat sie sitzenlassen. Ihr Stiefvater verstößt sie, denn sie gilt als „gefallenes Mädchen“ und verbringt sie ins St. Margret’s, ein katholisch geführtes Heim für ledige Mütter, wo sie mit Gleichgesinnten auf die Geburt ihres Kindes wartet und ihren Aufenthalt durch Arbeit hinter geschlossenen Klostermauern verdingt, wobei die Nonnen hart durchgreifen und auch vor Schlägen nicht Halt machen. Nach der Geburt will Ivy ihr Baby behalten und nicht, wie erwartet, zur Adoption freigeben. Das muss sie bitter bezahlen…

2017. Die Journalistin Samantha Harper ist alleinerziehende Mutter einer 4-jährigen Tochter namens Emma. Die beiden leben bei Sams verwitweter Großmutter Nana. Zufällig findet Sam einen alten Brief von Ivy aus den 50er Jahren, den sie aus dem St. Margret’s an Sams Großvater geschrieben hat, in dessen Nachlass. Sam, die bisher als Journalistin noch nicht so erfolgreich ist, wie sie gern wäre, wird neugierig und recherchiert über das St. Margret’s, das bereits dem Abriss freigegeben ist und dem Erdboden gleich gemacht werden soll. Was wird Sam herausfinden?

Emily Gunnis hat mit ihrem Buch „Das Haus der Verlassenen“ einen sehr berührenden und gleichzeitig fesselnden Roman vorgelegt, dessen Inhalt zwar fiktiv erzählt wird, jedoch auf Tatsachen beruht, da es diese Heime und deren Zustände wirklich gegeben hat. Der Schreibstil ist flüssig, bildreich und packend, der Leser wird regelrecht in die Geschichte hineinsogen und kann sich ihr, einmal begonnen, nicht mehr entziehen. Die Autorin bedient sich mit zwei Zeitschienen, die sich immer wieder abwechseln einem Spannungselement, dass die Handlung vorantreibt und den Leser regelrecht den Atem nimmt ob der Ereignisse, die er während der Lektüre erfährt. Stückchenweise, einem Puzzle gleich, werden nach und nach die erschütternden Zustände in den kirchlich geführten Mutter-Kind-Heimen aufgedeckt sowie die Verbindung zu Sams eigener Familie. Dabei durchlebt der Leser eine Achterbahn der Gefühle ob der furchtbaren Gegebenheiten, denen die Frauen in diesen Heimen ausgesetzt waren, den täglichen schweren Misshandlungen und der psychischen Grausamkeiten. Tatsächlich gab es diese Heime wirklich, deren furchtbare Wahrheiten erst durch die Hartnäckigkeit von Überlebenden ans Tageslicht kamen, wobei die Institutionen diese auch weiterhin am Liebsten totschweigen würden. Die Autorin fasst hier ein Thema an, das vielen immer noch unbequem ist und deren Offenlegung auch heute noch immer wieder blockiert wird.

Die Charaktere sind liebevoll und detailliert ausgearbeitet und werden sehr lebendig inszeniert. Der Leser kann sich sehr gut in sie hineinversetzen und mit ihnen leiden und mitfiebern. Ivy ist eine junge Frau, die den Traum hat, mit ihrem Freund eine Familie zu gründen. Leider zerplatzt diese Hoffnung schnell und sie stößt in der eigenen Familie auf Ablehnung, denn sie hat Schande über diese gebracht. Selbst in einer abstoßenden Umgebung gibt Ivy die Hoffnung nicht auf und zeigt eine recht zähe Seite, während so mancher an den Zuständen zerbricht. Sam ist eine Frau, die auf einen Neuanfang in ihrer Ehe hofft. Sie kämpft an mehreren Fronten, denn als alleinerziehende Mutter kann sie keine großen Aufträge annehmen. Zu ihrer Großmutter Nana hat sie ein inniges Verhältnis. Diese hilft ihr, wo sie nur kann, bei der Betreuung von Töchterchen Emma. Auch die Nebenprotagonisten sind gut ausgestaltet und fügen sich nahtlos in die mitreißende Handlung ein.

„Das Haus der Verlassenen“ ist ein sehr berührender Roman, den man so schnell nicht wieder vergisst. Obwohl fiktiv erzählt, basiert er doch auf tatsächlichen Begebenheiten, die vor nicht einmal 60 Jahren noch stattgefunden haben und den Leser erschüttert und auch atemlos an den Seiten kleben lassen. Wunderbar geschrieben und voller Tragik und Gefühl. Absolute Leseempfehlung für ein Highlight! Chapeau!