Rezension

Komplexes Abenteuer mit überraschenden Wendungen und unvorstellbaren Antworten

Incarceron - Catherine Fisher

Incarceron
von Catherine Fisher

Zitat:
„Es war von Anfang an entschieden worden, dass das Wissen darum, wo sich Incarceron befindet, nur dem Hüter alleine zustehen sollte. Alle Verbrecher, Unerwünschte, politische Extremisten, Verkommene und Geisteskranke wurden dort hingeschafft. Das Tor wurde vor dem Beginn des Experiments versiegelt. Alles entscheidend war, dass nichts die feine Balance des Programms von Incarceron stören sollte. Das Gefängnis selbst würde für alles Sorge tragen: Ausbildung, ausgewogene Kost, körperliche Ertüchtigung, seelisches Wohlergehen und sinnvolle Arbeit. Ein Paradies wurde erschaffen.“
(S. 76)

Inhalt:
Vor langer Zeit wurde Incarceron erschaffen. Ein Gefängnis, das dazu gedacht war, den Abschaum der Menschheit zu verbannen – für immer.
70 Sapienti ließen sich freiwillig mit einsperren, um die Geschicke der Insassen zu lenken, die vom Gefängnis selbst nicht gesteuert werden konnten.
Die Türe wurde versiegelt, seitdem ist niemand hinzugekommen. Incarceron lässt neue Insassen wachsen, recycelt Verstorbene, ersetzt fehlende biologische Masse durch Metall. 
Es konnte auch nie jemand diesem Gefängnis entfliehen. Die Legende von Sapphique behauptet jedoch etwas anderes.

Finn hat „Visionen“ von einem Leben „Außerhalb“. Sein Eidbruder Keiro tut dies als Hirngespinste ab, nicht jedoch der Sapient Gildas, der Finn für den „Sternenseher“ hält, jenen legendären Insassen, der auf den Spuren Sapphiques wandeln und diesem Gefängnis entkommen kann.

Claudia führt ein luxuriöses Leben auf dem Lande, weit abseits des Hofes der Königin. Als Tochter des Hüters hat sie vielerlei Verpflichtungen, ist stets ans Protokoll gebunden, das besagt, dass jeglicher Fortschritt verboten ist.
Ganz äragetreu wie ihr ganzes Leben wurde sie dem Sohn der Königin versprochen. Doch Claudia forscht lieber nach dem Verbleib ihres ehemaligen Verlobten, der auf seltsame Weise den Tod gefunden hat.

Meinung:
Der Klappentext von „Incarceron“ machte mich unglaublich neugierig und so konnte das Buch nicht lange ungelesen im Regal stehenbleiben.

Der Einstieg gleicht einem Feuerwerk an Eindrücken und ich wurde ohne jegliches Wissen durch die Seiten gezogen. Namen, Orte, Hierarchien, eine Masse an Informationen, die sich zunächst zu keinem Bild verbinden wollten.

Einerseits lernte ich Finn kennen, er gehört zum Abschaum und ist der Lockvogel für einen Überfall auf die Civitas. Seine vermeintliche Retterin erkennt eine Tätowierung auf seinem Handgelenk. Grund genug, sie als „Bezahlung“ einzufordern. Denn Finn hat seltsame „Visionen“, Erinnerungen, die plötzlich aus dem Nichts auftauchen. Erinnerungen an ein Leben außerhalb Incarcerons, dem Gefängnis, das alle Insassen überwacht und bestraft. Finn findet einen Hinweis, der scheinbar beweist, dass er „Außerhalb“ geboren wurde. Und er will dorthin zurück.

Kurz darauf lernte ich Claudia kennen, die das scheinbar gegenteilige Leben lebt. Mitten in weiten Ländereien, in einem Haus, das den Eindruck eines königlichen Landsitzes einer längst vergessenen Zeit macht. Ihr Vater, der „Hüter“ Incarcerons, der ihr kurzerhand mitteilt, dass ihre Hochzeit mit Caspar, dem Earl von Steen, schon in wenigen Tagen vollzogen werden soll. Claudia ist diesem Arrangement mehr als abgeneigt, selbst wenn sie dadurch zur zukünftigen Königin wird. Viel zu sehr schwebt ein „mysteriöser Unfall“ über dem Ganzen: Ihr ursprünglicher Verlobter ist unter besonderen Umständen ums Leben gekommen und Claudia ist gewillt, mehr darüber herauszufinden. 
Ihre einzige Chance besteht in dem Arbeitszimmer ihres Vaters, zu dem sie sich bislang keinen Zutritt verschaffen konnte.

Dort findet sie auch den Schlüssel – in ihm die Stimme eines Insassen von Incarceron. Finn, der sie um Hilfe bittet. Hilfe, um der den Legenden nach perfekten Welt von Incarceron zu entkommen.

Die Welt, in die mich Catherine Fisher geworfen hat, war sehr komplex. Die Struktur innerhalb des Gefängnisses war eine faszinierend ungewöhnliche Mischung aus Mittelalter und High-Tech, eine hypermoderne „Überwachung“ durch die Augen Incarcerons. Gruppenbildung, Bandenkriege, Raub und zwielichtiger Handel liegen an der Tagesordnung. Nur dass hier niemand den Himmel jemals zu Gesicht bekommen hat. Der Lebenszyklus wird von Incarceron bestimmt. Lichtan entspricht unserem Morgen.

Außerhalb fand ich eine Welt zu Zeiten der großen Könige vor, offensichtlich jedoch täuschte mich der erste Eindruck. Denn Technik und Fortschritt wurde lediglich verboten und liegen höchstens unter dem Deckmantel der Äratreue verborgen. Dennoch ist sie vorhanden. Hologramme, Scanner, mobile Helfer wie Entschlüsselungsgeräte stehen in starkem Kontrast zu den ausladenden Kleidern und dem Wams, die für die Bewohner Pflicht sind.

Diese faszinierende Weltenmischung konnte mich schnell fesseln. Ich folgte den beiden Protagonisten, getrennt voneinander und doch mit dem anderen durch den „Schlüssel“ verbunden. Seite für Seite offenbarten sich mir neue Geheimnisse, neue Intrigen, während Claudia einerseits den Zugang und Finn den Ausgang von Incarceron sucht. Ich folgte den Spuren eines Komplotts und versuchte begierig Details über das „Wesen Incarceron“ herauszufinden. Je tiefer ich danach grub, desto schneller wurde ich durch die Seiten getrieben. Eine Offenbarung jagt die nächste und Zweifel schlichen sich ein, die ohne mein Zutun in mir keimten, wie sie auch die Charaktere verfolgten.

Die Autorin beschreibt ihre Welten sehr detailreich, was diese Andersartigkeit auf perfekte Weise zum Ausdruck bringt. Der Schreibstil ist flüssig zu lesen, hat man sich an die vielen speziellen Bezeichnungen und Ausdrücke gewohnt. Der Erzähler schildert die Erlebnisse von Finn und seiner Gruppe innerhalb Incarcerons und das Leben Claudias außerhalb in verschiedenen Handlungssträngen, die sich stetig weiter annähern. Neugierig machende Textauszüge aus den „Legenden von Sapphique“ oder den Texten des alten Königs leiten die Kapitel ein und geben einen Hintergrund für so manche Tat der Charaktere.

Die Spannung stieg im Laufe des Buches konstant an, kleinere Spitzen und das Zittern um die Charaktere heizten meine Stimmung zusätzlich an. Meine Neugier wuchs ins Unermessliche und ich lechzte nach Antworten. Nach einem fantastischen Showdown ließ die Autorin diesen ersten Band zur Ruhe kommen. Vorerst. Zum Glück erscheint die Fortsetzung schon bald.

Urteil:
Mit „Incarceron – Fliehen heißt sterben“ hat Catherine Fisher eine unglaublich komplexe Welt erschaffen, die sich nur auf den zweiten Blick als Zukunftsvision herausstellt. Komplott und Intrigen, Verrat und Machtgier pflastern die Seiten, die von vielschichtigen Charakteren getragen werden. Überraschende Wendungen und unvorstellbare Antworten lassen beinahe über das Infodumping zu Beginn hinwegsehen. 4 Bücher für das Gefängnis „Incarceron“.

Wer Spannung und Intrigen in komplexen Welten mag, sollte unbedingt zu diesem Dilogie-Auftakt greifen. Der Weltentwurf wird euch begeistern können.

Die Serie:
1. Incarceron – Fliehen heißt sterben
2. Sapphique – Fliehen heißt leben
(Erscheinungstermin: April 2014)

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