Rezension

Kritische Betrachtung einer Gesellschaft im Wandel

Phon -

Phon
von Marente de Moor

Bewertet mit 4 Sternen

Phon ist eine nicht einfach zu lesende Geschichte über ein ins Alter gekommenen Zoologenpärchen, aber nicht nur das, sondern auch ein Bericht über eine Gesellschaft im Wandel, über Einsamkeit und Abgehängt-Sein. Nadja und Lew lernten sich zu Zeiten der noch bestehenden Sowjetunion als Dozent und Studentin kennen. Nadja wird ein bisschen zu schnell schwanger, die beiden heiraten und beziehen ein kleines Häuschen fernab vom Trubel der Großstadt. Lew führt sein Forscherleben im Prinzip weiter. Nadja bleibt in ihrer beruflichen Entwicklung stecken. Nachdem Zusammenbruch der UdSSR schließt die naheliegende Fabrik, der Lebensunterhalt in dieser abgeschiedenen Gegend ist nur sehr schwer zu verdienen. Junge Dorfbewohner ziehen weg, es bleiben die Alten, die nach dem natürlichen Lauf der Dinge auch immer weniger werden. Die Geschichte startet als Nadja und Lew fast allein zurückgeblieben sind und wird von Nadjas Erinnerungen getragen.

Das Leben in abgelegenen Dörfern Russlands wird zunehmend beschwerlich. Der nächste Supermarkt ist soweit weg, dass man sich mit Gemüse-Anbau im Garten und der Haltung von ein paar Tieren selbst über Wasser halten muss. Kaum jemand kommt noch vorbei, einzige Abwechslung ist ein Zug, der jede Nacht am Dorf vorbeirauscht. Halt macht auch er nicht. Dabei war nach dem Zusammenbruch doch so ein Aufbruch zu spüren. Sensationsgetriebener Tourismus trieb viele Westeuropäer in die russischen Wälder. Doch die Wildnis und die Ursprünglichkeit ist nicht ungefährlich. So tragen Nadja und Lew win schweres Paket.

Es sind stille Töne, mit denen die Autorin die schmerzvollen Umwälzungen thematisiert. Manchmal hat das Geschehen einen langatmigen Touch. Wenn man sich aber bewusst macht, wer hier in welcher Situation erzählt, steigert die ausgebremste Erzählgeschwindigkeit die Glaubwürdigkeit. Eingestreut werden philosophische Passagen, die mich emotional tief berührt haben. „Ohne sich von der Stelle zu rühren, wurde meine Generation von einem Land ins andere verfrachtet, von einer Geschichte in die andere, von einer Lüge in die andere. Wir wurden um dreihundertsechzig Grad gedreht, zusammengedrückt, wieder auseinandergezogen und erneut zusammengedrückt, und hielten stand, schließlich waren wir ein Volk von Kosmonauten.“, sei beispielhaft genannt (S. 254). Ich spürte regelrecht den verlorenen Stolz und den mitschwingenden Identitätsraub.

Ich mochte sehr, mit welchem Gespür die niederländische Autorin die sogenannte russische Seele auf den Punkt bringt. Ihre Jahre in St. Petersburg haben offensichtlich einen bleibenden Eindruck hinterlassen, so dass Marente de Moor ihre Wahrnehmung unbedingt mit uns teilen wollte. Ich habe das genossen. Gern empfehle ich diesen leisen ausdrucksstarken Roman.