Rezension

Spannende Familiengeschichte

Das Haus am Himmelsrand - Bettina Storks

Das Haus am Himmelsrand
von Bettina Storks

Bewertet mit 5 Sternen

„…Nicht alles, was gut scheint, ist im Kern auch so. Ein Apfel mag appetitlich aussehen und innen verfault sein. Es gibt Menschen, die selbst mit der Wahrheit lügen…“

 

Lizzy wird an das Bett ihres 92 Jahre alten Großvaters gerufen. Bodo Kirchmann war der Patriarch einer Freiburger Uhrendynastie. Er  weiß, dass ihm nicht viel Zeit verbleibt. Er bittet Lizzy, zum Rosshimmel zu fahren und die Unterlagen aus dem Sekretär zu holen. Als sie zurückkehrt, sagt er ihr, sie solle für Gerechtigkeit sorgen. Das sind die letzten Worte, die Lizzy von ihrem Großvater hört.

Die Testamentseröffnung wird für die Familie zu einer Überraschung. Zwar wird für den größten Teil der Immobilien ein Nacherbe der Familie eingesetzt, aber das Haus am Rosshimmel, der idyllische Familienbesitz am Westhang der Vogesen, geht an David und Ella Bloch.

Die Autorin hat einen beeindruckenden Gegenwartsroman geschrieben, der weit in die Vergangenheit reicht.

Lizzy ist in behüteten Verhältnissen aufgewachsen. Wurde das Geld in ihrer kleinen Familie knapp, Griff ihr der Großvater unter die Arme. Jetzt ist sie auf sich gestellt. Sie muss für ihren Lebensunterhalt sorgen, denn die Tantiemen fließen erst am Jahresende. Der Wunsch des Großvaters beschäftigt sie. Gleichzeitig gibt es Spannungen mit ihrem Lebensgefährten.

Alexander, Lizzys Bruder, ist der Geschäftsführer der Uhrenmanufaktur. Als studierter Jurist will er das Testament anfechten. Lizzys Nachforschungen in der Vergangenheit möchte er am liebsten unterbinden.

Schon bald findet Lizzy heraus, dass Samuel Bloch Teilhaber der Uhrenfabrik war. Als Jude musste er sie 1937 verlassen. Stück für Stück setzt sich ein Bild der Vergangenheit zusammen, das erschüttert.

Das Buch hat mich schnell in seinen Bann gezogen. Neben der Handlung, die in der Gegenwart spielt, gibt es immer wieder Abschnitte, die ein Licht auf vergangene Ereignisse, zurückgehend bis 1929, werfen. Sie sind kursiv gedruckt und mit Ort und Jahreszahl versehen. Durch diese episodenhaften Bruchstücke weiß ich als Leser meist mehr als Lizzy, die ihre Gesprächspartner erst zum Sprechen bringen muss. Leider ist ihr Tom, ihr Partner, keine Hilfe.

Das Buch lebt von seiner inneren Spannung. Wie es auch das obige Zitat zum Ausdruck bringt, weiß man nie, wer wie und warum in das Leben der anderen eingegriffen hat. Die kursiven Teile weisen zwar einen Weg, sie verhüllen aber auch manches. Auch die heutigen Beziehungen zwischen den Protagonisten sind deffizil.

Der Sprachstil des Buches ist beeindruckend reif. Die Schönheit der Landschaft und der Jahreszeiten wird in poetischer Sprache wie ein Bild gemalt. Vielfältige Metapher und gelungene Vergleiche und Wortspielereien zeichnen die Sprache aus. Lizzys innere Zerrissenheit ist in jeder Phase spürbar. Aufgeben kommt für sie nicht in Frage, auch wenn sie in ein Wespennest stößt und häufig erst einmal auf Schweigen trifft. Die Autorin besitzt die Fähigkeit, die Protagonisten durch ihre Sprache zu charakterisieren. Toms Sticheleien und Alexanders knallhartes Beharren auf  seinem Recht sind treffende Beispiele dafür.

Persönliche Rache, verletzte Eitelkeit, Eifersucht und Gier sind die Fakten, die für andere in der Nazizeit zur tödlichen Gefahr wurden.  Gleichzeitig werden auf behutsame Weise die psychischen Verletzungen thematisiert, die nicht nur die überlebenden Juden betreffen, sondern bis in die folgende Generation reichen.

Das Cover mit dem Tor öffnet scheinbar die Blicke in die Weite. Doch das Tor ist geschlossen.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Auf eindringliche Weise hat die Autorin anhand zweier Familien ein Stück deutsche Geschichte aufgearbeitet.  Der gefühlvolle Umgang mit Leid und Verletzung, die ausdrucksvolle Sprache und der überzeugende Schluss haben zu meiner Einschätzung beigetragen. Wie Lizzy Schritt für Schritt an ihrer Aufgabe gewachsen ist, wurde abwechslungsreich und nachvollziehbar erzählt.