Rezension

Vive la Tristesse!

Dankbarkeiten - Delphine de Vigan

Dankbarkeiten
von Delphine de Vigan

          "Dankbarkeiten" ist ein feinsinniger kleiner Roman über den Verlust von Sprache und darüber, was dieser Umstand mit uns macht. Eine Novelle über das Älterwerden, den unaufhaltsamen Verfall und darüber, wie wir ihm begegnen können. Fern von Fatalismus, aber dennoch mit einer großen Portion Tristesse angesichts des unvermeidlichen Wegs allen Irdischens erzählt Delphine de Vigan vom Altsein Michkas und ihren letzten Lebenswochen in einem Pariser Seniorenheim.

Die Tragik: Michka ist kinderlos und ohne Verwandte. Sie muss sich im Alter auf die Fürsorge derer verlassen, die dies freiwillig machen, so wie Marie, eine der beiden Ich-Erzähler des Romans. Oder eben auf das ungastliche Seniorenheim mit seiner nüchternen, distanzierten Direktorin. Denn alleine wohnen kann und will sie nicht mehr. Außerdem leidet sie an Sprachverlust, sie verliert die Wörter, ersetzt sie durch die, die ihr gerade in den Sinn kommen. Ironie des Schicksals, war sie früher doch Korrektorin, hat Texte verbessert, mit Wörtern gearbeitet.

Wenn Michka um die Worte ringt, gleichsam um sie kämpft und trotz allen Aufbäumens doch wieder in Kauderwelsch verfällt, dann ist das rührend, es geht ans Herz des Lesers.
Jérôme, der andere Ich-Erzähler, ist Michkas Logopäde. Er macht mit ihr und anderen alten Menschen im Seniorenheim Sprachübungen. Die Wortlosigkeit, die Alter, Alzheimer und Demenz mit sich bringen, ist sein täglich Brot und dennoch lässt sie ihn nicht kalt. Die mitunter bewegendsten Sätze des Buches sind seine Gedanken über die Tragik des Sprachverlusts.

Der Kurzroman heißt “Dankbarkeiten”, denn es geht auch um das Grundbedürfnis des Menschen, “Danke” zu sagen. Bevor Michka gehen kann, möchte sie noch Danke sagen und zwar jenen Menschen, die sie nach der Deportation ihrer Eltern während des Zweiten Weltkriegs gerettet haben - aus reinem Altruismus heraus. Der Logopäde Jérôme hilft ihr dabei.

Es ist mein erstes Buch von Delphine de Vigan, eine wirkliche Neuentdeckung für mich! Ein wirklich berührender, in sich geschlossener Kurzroman, bei dem kein Wort überflüssig ist.