Rezension

Intensiv, einfühlsam, berührend ...

Dankbarkeiten - Delphine de Vigan

Dankbarkeiten
von Delphine de Vigan

Bewertet mit 5 Sternen

Michka ist eine ältere Dame, die ihr ganzes Leben lang unabhängig und selbstständig verbracht hat, aber nun schlägt das Alter zu. Es geht nicht mehr allein und außerdem hat sie ständig das Gefühl, etwas zu verlieren. Tatsächlich verliert sie Wörter, immer mehr und mehr, es lässt sich nicht aufhalten. Nun ist sie im Altenheim, besucht wird sie von Marie, die versucht zu helfen und auch ihr Logopäde Jérôme schließt sie schnell ins Herz. Zusammen versuchen sie, die verschwindenden Wörter aufzuhalten, denn Michka liegt noch etwas schwer auf der Seele. Als Kind wurde sie von einem Ehepaar gerettet und ihre Dankbarkeit möchte sie ihnen noch unbedingt überbringen. Aber wie, wenn man den Nachnamen nicht weiß? Marie schaltet auf ihre Bitte, wieder eine Suchanzeige. Aber wird sich jemand darauf melden? Kann Michka noch ihren Dank übermitteln? Wird sie dafür noch genügen Worte haben?

Delphine de Vigan hat sich mir, schon mit so einigen ihrer Bücher, ins Gedächtnis geschrieben. Feinfühlig, sehr intensiv, lebensecht und wunderbar tiefgründig beschreibt sie ihre Figuren und Geschichten. Diesmal wirft sie einen Blick auf das, was wir alle mit Schauer betrachten, nämlich das Alter. Es meint es ja nicht mit jedem gut und lässt einen hilflos und allein zurück. Dazu kombiniert sie noch etwas Dringliches hinzu, nämlich Dankbarkeit und wie wichtig es ist, diese auszudrücken. Aber ich nehme alles schon vorweg, legen wir also einfach los.

Michka ist eine ältere Dame, die man schnell ins Herz schließt. Irgendwie hat sie mich an meine Lieblingsoma erinnert, nie klagend, immer interessiert an anderen und immer eine kesse Lebensweisheit auf den Lippen. So kommt diese Frau herzlich, liebenswert und sympathisch rüber. Aber sie ist auch mal eine gestandene Frau gewesen, immer selbstbewusst, erfolgreich und unabhängig. Als Journalisten hat sie gearbeitet und obwohl sie keine eigene Familie hatte, war sie immer für die Nachbarstochter Marie da. Ein Band was zart anfing und zu einer starken Verbindung wurde. Für Michka kam aber nie infrage, im Alter Marie zur Last zu fallen, und so zog sie ins Altenheim, wo sie nun mit ihren Ängsten allein ist. Und Michka hat einige davon, sogar Albträume und somit versteht man auch manches sonderliche Verhalten von alten Leuten besser. Aber was Michka besonders belastet sind die fehlenden Wörter, sie versucht sie zwar zu ersetzten, aber sie merkt selbst, es passt nicht und das lässt sie oft Verzweifeln. Was ihr aber besonders auf der Seele liegt, ist die Vergangenheit, wo sich ein Ehepaar um sie gekümmert hatte, sie im Krieg versteckt und behütet und ihre Dankesworte, die sie nicht aussprechen konnte. Das zermürbt sie und lässt Marie verzweifeln und auch Jérôme leidet mit der älteren Dame mit.

Eigentlich bringt die Autorin zwei heftige Themen aufs Blatt. Zum einen die Dankbarkeit und wie wir diese doch unterscheiden müssen, unter den höflichen formellen Danke sagen und den wirklich tief empfundenen Dank, der einen mächtig berührt, der wichtig ist und den man unbedingt Ausdruck verschaffen muss. Ich hatte bis dahin, darüber noch nicht wirklich nachgedacht, aber ja, es gibt unterschiede und diese sind gewaltig. Manchen Dank sagen wir ohne wirkliche Bedeutung und dann wieder geben wir den wirklich Wichtigen nicht die Anerkennung, die es verdient. Darüber sollte man wirklich mal nachdenken und im Kopf durchspielen, habe ich in den wirklich wichtigsten Momenten meine Dankbarkeit ausgedrückt. Das andere ist das Alt werden, ich merke es schon an meinen Eltern, da ist nicht mehr alles so, wie es als Kind war, sie verändern sich. Auch bei den Großeltern kann ich mich noch erinnern, während die eine Oma bis zu letzt das Leben gemeistert hat, hat die andere einfach aufgegeben. Das älter werden ist schwer und unglaublich beängstigend und bei jedem läuft es etwas anders. Die Figur Michka macht es ihrer Umwelt leicht sie gern zu haben und das macht es der Geschichte auch einfach, sie zu lesen.

Die Autorin hat die Geschichte abwechselnd aus Marie und Jérôme Sicht erzählt. So bekamen wir Einblicke aus Maries Kindheit mit und wie sich Michka um sie gekümmert hat. Jérôme dagegen lernt sie jetzt erst kennen und durch seine Augen mögen wir diese Dame einfach noch mehr. Es ist ihr Charme, ihr Witz und auch ihre Lebensweisheit, die mir gefallen haben. Dazu kommen die fehlenden Wörter, sie ersetzt diese ständig, mit einem anderen. Zuerst dachte ich, es wäre ein Schreibfehler im Buch, dann musste ich herzlich grinsen, über die komödiantische Einlage und später, habe ich die Verzweiflung von Michka gefüllt, wie erbarmungslos die Suche, nach einem Wort sein kann. Dieses Buch berührt unglaublich, da die Autorin eine Klarheit und einen Scharfsinn hineinschreibt, der einfach bewegt. Ihre Beschreibungen sind zärtlich, liebevoll und doch auch klar beobachtet und auch erschütternd. Wer Michka kennenlernt, wird Zuneigung, Mitgefühl und auch Dankbarkeit empfinden, das Einzige, was hier nicht stimmt, ist die Länge, ich hätte gern Michka noch länger begleitet.

Dankbarkeiten ist ein intensives Buch und lässt einen nicht kalt. Es zeigt genau, was im Leben wichtig ist und wie uns Menschen prägen. Für mich wieder eine großartige Lektüre mit Tiefgang.