Rezension

Traurig schön, mit leisem Humor

Bevor die Welt erwacht - Monica Wood

Bevor die Welt erwacht
von Monica Wood

Bewertet mit 5 Sternen

„Bevor die Welt erwacht“ ist ein grauenhaft nichtssagender Titel für ein wirklich berührendes Buch. Im Original heißt es „The One-in-a-Million Boy“ und das ist ungleich passender. 

Um ihn geht es hier, den Jungen, der erst 11 Jahre alt war, als er starb. Er war besonders, beobachtete genau, katalogisierte gerne Dinge, stellte Fragen, die sonst keiner stellte und befremdete damit viele. Auch Quinn, sein Vater, konnte keinen Draht zu ihm finden und bereut das bitter. Quinn hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Pfadfinderjob seines Sohnes zu Ende zu bringen. Noch sieben Samstage will er Ona Vitkus besuchen, die 104 Jahre alt ist und Hilfe braucht. Ona ist auch sehr speziell, aber zwischen ihr und dem Jungen hatte sich eine ganz ungewöhnliche Freundschaft entwickelt. Sie verstanden einander. Durch Ona lernt Quinn seinen Sohn endlich kennen. Zu spät.

Eigentlich klingt das wie ein Strickmuster für ein Buch, das mutwillig die Tränendrüse bedienen will. Ich war ein wenig skeptisch, wurde aber sehr schnell gefangen genommen von dieser Geschichte und dem brillanten Erzählstil, der plastisch ist, voller sprechender Bilder, der aber ohne große Wortakrobatik auskommt und zutiefst beeindruckt . 
„Sie betrachtete ihn gereizt, ihr Gesicht ein verschrumpelter Apfel, dem alle Farbe fehlte, bis auf die kleinen beunruhigenden Augen, die wie Kerne leuchteten.“

Immer wieder wird die Handlung unterbrochen durch Tonbandaufzeichnungen, in denen „der Junge“ Ona für ein Schulprojekt über ihr Leben befragt hat. So liefert Ona einen köstlich komischen Monolog, während man staunend ihre spannende Geschichte erfährt. Sie hat viel erlebt. 
Nach und nach erfährt man mehr über diese Menschen, die vor Trauer betäubt sind, dann aber doch ins Leben zurückfinden, sich neu orientieren und Trost finden in einigen Ideen, die dieser wunderbare Junge hatte. Und auch wenn hier Trauer aus jeder Zeile spricht, amüsiert man sich beim Lesen, obwohl es eigentlich um tiefste Verzweiflung geht. Ich musste immer wieder Lesepausen einlegen, manchmal hält man es kaum aus. Dabei passiert gar nichts Schreckliches, hier steckt das Drama dezent zwischen den Zeilen und trifft dadurch umso mehr.

Dieses Buch ist sehr vielschichtig. Neben einer tragischen Familiengeschichte berührt es auch das Thema Freundschaft, zeigt was es heißt, alt zu sein, macht Mut über den Tellerrand zu schauen und vielleicht mal andere Wege zu beschreiten. 
Mich hat es sehr beeindruckt. Es ist traurig schön, mit leisem Humor.
 

Kommentare

E-möbe kommentierte am 28. August 2016 um 20:47

Ich finde ausnahmsweise die deutsche Titelgebung gut. Bevor die Welt erwacht, tun es die Vögel, die Ona nicht mehr hören kann, und deren Töne der Junge aufnehmen und von seinem Vater in einem Ton runtertunen lassen wollte, dass sie es eben doch hören kann. Bevor die Welt erwacht, stirbt der Junge. Bevor die Welt erwacht, endet ein besonderes Leben und beginnt ein neuer Abschnitt im Leben dreier Menschen, die mit dem Tod dieses besonderen Lebens klar kommen müssen.

Ansonsten: Deine Meinung zu dem Buch ist meine Meinung. ;)

Sursulapitschi kommentierte am 28. August 2016 um 20:59

Klar, aber das versteht man alles erst, wenn man das Buch gelesen hat. The One in a Million Boy ist so viel aussagekräftiger. Außerdem kann ich mir "Bevor die Welt erwacht" nicht merken. (Musste gerade schon wieder nachsehen :-)) Das ist wie "Und damit fing es an", "All die verdammt perfekten Tage", "Alles Licht, das wir nicht sehen"... Brei! "The Girls" vergisst keiner. :-)

Schön, dass es dir auch gefallen hat. Ich verstehe gar nicht, warum es so viele furchtbar finden. Vielleicht ist das Cover zu niedlich... 

E-möbe kommentierte am 28. August 2016 um 22:07

The One in a Million Boy ist aber auch so ein Titel wie Alles Licht, das wir nicht sehen. ;)

Nein, ist egal, das Buch ist mega. Hätte ich auch nicht gedacht, weil das eigentlich gar nicht mein Genre ist.