Rezension

Atmosphärischer Antikriegsroman

Winterbienen - Norbert Scheuer

Winterbienen
von Norbert Scheuer

Bewertet mit 4 Sternen

Eifelregion 1944. Kleines Bergarbeiterstädtchen an der Urft.

Egidius ist Epileptiker. In Jugendjahren wurde er zwangssterilisiert und ist knapp einer Lobotomie entkommen. Offiziell als Schmarotzer und Volksschädling abgestempelt. Seit vielen Jahren anfallsfrei, kann er bislang seine Erkrankung recht gut geheim halten. Aus dem Kriegsdienst wurde er ausgemustert. Nach dem Tod seines Vaters kehrte er in die Heimat zurück, unterrichtete am Gymnasium Latein, wurde jedoch aufgrund seiner Gesinnung aus dem Schuldienst vorzeitig entlassen. Hin und wieder betreut er noch Nachhilfeschüler. Vorrangig kümmert er sich nun um seine 80 Bienenvölker und seine Hauswirtschaft. Regelmäßig besucht er zudem die Bibliothek. Dort entziffert er zum einen alte Handschriften des Benediktinermönches Ambrosius, einem im 15. Jahrhundert lebenden Vorfahren, der ebenfalls Bienen züchtete und ein bewegtes Leben führte.

Zum anderen empfängt Egidius hier kleine Nachrichten, aufgrund derer er Juden über die Grenze nach Belgien schmuggelt. Mittlerweile jedoch nicht mehr so oft, da die allgemeine Situation schwieriger wird. Alliierte nahen und deutsche Soldaten werden im Ort stationiert. Doch Egidius benötigt dringend das Geld für die notwendigen Medikamente, welche seine Erkrankung in Schach halten.

Der Roman besteht aus Egidius Tagebuchaufzeichnungen sowie einigen Übersetzungen von Ambrosius`Schriften. Er liest sich fesselnd und ist in einer Sprache verfasst, die wunderbar Stimmungen, Eindrücke oder auch Landschaften wiedergeben kann. Der Roman ist reich an Symbolik und Metaphorik. So erfährt man wie nebenbei auch einiges über Bienen und Flugzeuge. Für mich war es manchmal etwas zu viel, zu überladen, zu überdeutlich wird auf die Katastrophe hingesteuert. Anfangs noch beschaulich und fast gemütlich, wendet sich die Stimmung schnell ins Bedrohliche. So ahnt man schon nach der Hälfte, dass es für Egidius nicht gut ausgehen kann. Aber das ist natürlich auch kein Wunder. Kaum jemand übersteht den Krieg unbeschadet und die Folgen wirken, auch nach Kriegsende, langfristig. Der letzte Twist war daher zwar überraschend, für mich jedoch unnötig.

Egidius ist nach einer realen Person gezeichnet. So verwundert es letztendlich nicht, wenn einiges in seinem Charakter, seinem Denken und inneren Konflikten nur angedeutet bleibt. Ein Mann, der innerlich zerrissen, sich müht, einen Platz im Leben zu finden, als Einzelgänger nicht an die Liebe glaubt und doch immer wieder Frauengeschichten am Laufen hat. Geschützt vom Ruf seines Bruders, der hochdekoriert bei der Luftwaffe dient.

Als grossartig empfand ich die Schilderungen seiner epileptischen Anfälle und das Nahebringen dieser Erkrankung im Ganzen.

Alles in allem ein interessanter Hauptprotagonist und vor allem ein sehr solider Antikriegsroman, der die Schrecken des Krieges deutlich zeigt. Er berührt, beeindruckt, rüttelt auf und verstört. Und regt zum Nachdenken über die verschiedenen Optionen menschlichen Verhaltens an.