Rezension

Ein literarischer Genuss, den man nicht versäumen sollte.

Traumsammler - Khaled Hosseini

Traumsammler
von Khaled Hosseini

Ein Buch voller Lebensträume.

Daheim in ihrem Haus in Shadbagh lauschen Abdullah und seine kleine Schwester Pari der Stimme ihres Vaters Saboor, der ihnen vor dem Hinübergleiten ins Traumland die allabendliche Geschichte erzählt, die diesmal von Baba Ayub, einem armen Bauern handelt, der vor langer Zeit mit seiner Familie in dem Dörfchen Maidan lebte und die Seinen mühsam mit seiner Hände Arbeit ernährte.  Es war eine Zeit, in der noch Dämonen und Dschinns durch das Land zogen und Opfer von den Menschen forderten - und diesmal war es Quais, der jüngste Sohn Ayubs, den der Dämon in sein Reich holte.

Dass diese Geschichte auf einschneidende Weise ihr Schicksal spiegelt, wissen die Geschwister beim Einschlafen noch nicht. Am Tag darauf aber macht sich Saboor mit den Kindern auf, um die kleine Pari zu Pflegeeltern nach Kabul zu bringen, wohin Nabi, der Bruder seiner zweiten Frau Parwana, das Kind vermittelt hat.

Die verzweifelten Schreie nach ihm sind das Letzte, was Abdullah von seiner Schwester hört, als er  - vom Vater gezwungen -  mit diesem allein nach Shadbagh zurückkehren muss.

 Diese Trennung ist die Ouverture zu einer gefühlsstarken, weit ausholenden Geschichte, die - im Herbst 1952 beginnend -  sich im politisch geschundenen, unterdrückten und geknebelten Afghanistan abspielt. Der Leser folgt ihr weit über die Grenzen des Landes hinaus, auf den Spuren der Menschen, die den jeweiligen Machthabern Tribut zollen müssen, gezwungen sind, die Heimat zu verlassen, um sie irgendwann vielleicht wieder in Besitz zu nehmen, die bereichert oder gedemütigt werden, Liebe verlieren oder sie neu entdecken, einmal an ihrer dunklen Seite scheitern oder ein andermal den Sieg über sie davontragen, Scham empfinden oder dankbare Bestätigung erhalten.

Vielschichtig, aus zahlreichen Zusammenhängen gewoben, entsteht ein großes, schriftstellerisches Gemälde, in dem alles ineinander greift, voneinander abhängt und sich bedingt.

Immer sind es die ganz starken menschlichen Gefühle, die Hosseini zum Thema seiner Romane macht, Emotionen, denen man sich nicht entziehen kann oder will, Empfindungen, die uns durch seine ausdrucksstarken Protagonisten so nahe gebracht werden, als seien sie  zeitgleich in uns selbst entstanden.

Man spürt das Verlangen, immer weiter und tiefer in seine Erzählungen einzudringen, immer mehr von der phantasievollen Fülle und Vielfalt seiner geschriebenen Worte zu genießen, deren Strom die Gabe hat, uns mitzunehmen in seine gefühlvolle, leuchtende, traurige und verletzte Welt.

Es ist eine wunderbare Erfahrung, wenn ein Buch nicht dann aufhört, wenn man die letzte Seite umgeblättert hat, sondern Herz, Seele und Verstand immer noch seinen Rhythmus atmen und sich nicht trennen können.

Das schafft Khaled Hosseini mit seinen Büchern - ich finde, einen besseren Nachhall kann es nicht geben.

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 22. März 2014 um 17:06

Eine Rezension mit viel Aussagekraft, danke. Ich kenne bislang vom Autor nur "Drachenläufer"; da kann ich bestätigen, was Du in den letzten Abschnitten schreibst. Beim "Drachenläufer" hatte ich mit den ersten Sätzen das Gefühl, dass ich das Buch sehr gerne lesen würde, und so war es dann auch.