Rezension

Eine sehr atmosphärische Reise ins Jahr 1923

Fräulein Gold. Scheunenkinder - Anne Stern

Fräulein Gold. Scheunenkinder
von Anne Stern

Bewertet mit 4 Sternen

Auch im zweiten Teil der Reihe um die Hebamme Hulda Gold wird es wieder spannend. Dieses Mal verschwinden in Berlin immer mehr Kinder und bald kommt der Verdacht auf, dass da Kinderhändler am Werk sein müssen. Als Hulda zu einer Geburt ins überwiegend jüdische Scheunenviertel gerufen wird und sie dort einen kleinen, kerngesunden Jungen auf die Welt holt, der wenig später spurlos verschwindet, kann Hulda nicht anders - sie muss herausfinden, was dem Kind zugestoßen ist. Hat Ruth etwas damit zu tun, die Schwiegermutter der Gebärenden, die durch ihre abweisende Art stets so wirkt, als wüsste sie etwas? 

Parallel dazu verschärfen sich die Stimmen aus Bevölkerung und Politik, die gegen die Juden wettern. Auch für Hulda als Halbjüdin wird es gefährlicher, und dass die Inflation ihren Höhepunkt erreicht, trägt nicht gerade zur Besänftigung der Menschen bei...

 

Wie schon sein Vorgänger hat mich auch Band 2 gleich in seinen Bann gezogen. Wo es im ersten Teil die sich greifbar anfühlende Armut war, die die Grunstimmung des Buches auszeichnete, ist es hier das den Juden drohende Unrecht, das sich bereits ankündigt und vor niemandem haltmacht. 

Obwohl die Ermittlungen und die Suche nach Tamars verschwundenem Sohn den Leitfaden der Handlung bilden, ist es diese Beklemmung beim Gedanken daran, was in den folgenden Jahren alles geschehen wird, die für mich beim Lesen ganz klar im Vordergrund stand. Schon in der Phase, in der das Buch spielt, zeichnet sich der Judenhass deutlich ab, die jüdische Bevölkerung wird zum Sündenbock gemacht und die Menschen stacheln sich gegenseitig immer weiter an, ihre Wut und ihr blinder Hass schaukeln sich immer weiter hoch, bis sie schließlich überhand nehmen. Auch, dass bereits jetzt viele Polizisten auf Seiten des Mobs stehen, wird deutlich.

All dies stellt das Buch sehr realistisch und gut nachempfindbar dar, die Hintergründe sind gut recherchiert und es wird eine Atmosphäre geschaffen, die es einem leichtmacht, sich in die Straßen des Berlins von 1923 versetzt zu fühlen. Sowohl Hulda als auch die anderen Charaktere sind vielschichtig und authentisch angelegt und schön ausgearbeitet, der Schreibstil ist sehr angenehm zu lesen und überzeugt mit seiner Bildhaftigkeit.

Insgesamt hat mir auch Band 2 sehr gut gefallen!