Rezension

Eine von zehn

Macht -

Macht
von Heidi Furre

Bewertet mit 4 Sternen

Eine von zehn. So beschreibt sich die Erzählerin in Heidi Furres neuem Roman "Macht". Als eine von zehn Frauen, die im Laufe ihres Lebens eine Vergewaltigung erfahren. Doch der Roman stellt nicht die Tat an sich ins Zentrum, vielmehr geht es darum, was diese mit der jungen Frau macht.

Die Erzählerin ist eine junge Frau, das traumatische Erlebnis liegt schon einige Jahre zurück, mittlerweile ist sie verheiratet, Mutter von zwei Kindern, arbeitet als Pflegerin, ist glücklich. Doch der Alltag reißt sie immer wieder rein in Erinnerungen, die ihr Körper abgespeichert hat, sie lassen sich nicht regulieren, nicht abstellen, sie sind ein Teil von ihr. Die erfahrene Vergewaltigung steht hier unter der Überschrift des Romans: Macht. Welche Macht hat der "Vorfall" (so sagt sie), noch heute über sie? Wenn sie nachts nach Hause geht, wenn sie zum Zahnarzt muss, wenn sie unangenehme Kleidung trägt, wenn sie bestimmte Geräusche hört, Gerüche wahrnimmt? In ihrer Partnerschaft und Kindererziehung? Wie kann sie Kontrolle bewahren, was bewahrt sie vor der Ohnmacht, wo hat sie Macht über den Täter?

Heidi Furre schreibt sprachlich clean und wirkungsmächtig. Sie zeigt eindrücklich die Rollen, in die man von anderen gedrängt wird und diejenigen, in die man sich manchmal gern zurückzieht. Sie zeigt (mehr als dass sie analysiert), Strategien um Sicherheit, Selbstwert und Stabilität zu erhalten. Konsum, Kosmetik, die Tabletten in Griffnähe - das alles kann mehr bedeuten als nur den schönen Schein. Und doch ist es am Ende die Kunst, der die Schlüsselrolle zukommt. Ein Ende, das mir persönlich zu plötzlich und zu konstruiert war, zu sehr an "Eat, pray, love" erinnert und dennoch spannende Fragen aufwirft, nach dem Reden über die Tat, dem Anklagen, dem Sich-Ermächtigen und Raum einnehmen, auch durch die Kunst.