Rezension

Grandios

Drei Tage und ein Leben
von Pierre Lemaitre

"Sein Leben war nichts anderes als die riesige Niederlage, zu der ihn seine Kindheit, ein einziges Leid, bestimmt hatte." (93%)

"Sein Leben war nichts anderes als die riesige Niederlage, zu der ihn seine Kindheit, ein einziges Leid, bestimmt hatte." (93%) 

Weihnachten 1999. Manch einer erinnert sich noch an die heftigen Stürme Lothar und Martin, die über West- und Mitteleuropa hinwegzogen und großes Unheil anrichteten. 
Drei Tage zuvor verschwindet der sechsjährige Remi aus dem kleinen französischen Ort Beauval. Er ist dem Nachbarsjungen Antoine in den Wald gefolgt, der dort eine Hütte gebaut hatte. Antoine, selbst gerade einmal zwölf Jahre alt und an der Schwelle zum Erwachsenwerden, durchlebt gerade eine schwierige Zeit. Seine Eltern haben sich getrennt. Der Vater ist sehr gleichgültig und abwesend. Die Mutter - und das ist vielleicht noch schlimmer - ist zwar anwesend, aber auch gleichgültig den Sorgen ihres Sohnes gegenüber. Dieser plagt sich mit Einsamkeit, buhlt um die Anerkennung seiner Altersgenossen und ist irritiert durch seine aufkeimende Sexualität. 
Eine Lebenssituation, in der dem Heranwachsenden feinfühlig begegnet werden sollte. Aber in dem kleinen Dorf Beauval werden die Kinder mit ihren Sorgen und Ängsten allein gelassen. Und noch zusätzlich mit Problemen und Taten der Erwachsenen konfrontiert, die sie erschüttern. 
So muss Antoine mit ansehen, wie sein Nachbar, Remis Vater kurzerhand, seinen von einem Auto angefahrenen Hund erschlägt. Dieser Hund war Antoines einziger Freund und Begleiter. 
Völlig aufgebracht zieht er sich in den Wald zurück, wohin Remi ihm folgt. Antoine projiziert seine Wut auf den kleinen Jungen und schlägt auf ihn ein. 

"Das Ausmaß der Katastrophe hat ihn niedergeschmettert. Innerhalb weniger Minuten hat sein Leben die Richtung geändert. Er ist ein Mörder." (8%) 

Pierre Lemaitre nimmt sich nicht vor, die Schuldfrage zu klären; Antoines Tat wird als Mord bezeichnet, nie als Unfall. Viel mehr geht es darum, was diese Tat aus Antoine macht. 
Auch wie es zu dem Mord kam, spielt natürlich am Rande eine Rolle, doch es kommt nie zu einer Aufklärung und Reflexion der Umstände, da wir alles aus Antoines Perspektive erfahren. Und der bleibt auch in seinem weiteren Leben der selbstbezogene und verängstigte Zwölfjährige, der seine Tat nie verarbeiten wird. 

So fühlt man als Leser mit dem jungen Antoine drei Tage lang mit, obwohl er einen Mord begangen hat. Doch den erwachsenen Antoine kann man nicht mögen. Er ist ein gebrochener Mann, dessen Leben von der Angst vor dem Entdecktwerden bestimmt wird. 

Ein so bewegendes Buch wie "Drei Tage und ein Leben" habe ich selten gelesen. Es lässt den Leser verzweifelt und zerrissen zurück.