Rezension

Wenn Sekunden über ein ganzes Leben entscheiden

Drei Tage und ein Leben
von Pierre Lemaitre

Bewertet mit 5 Sternen

Die Handlung von Pierre Lemaitres neuem Roman  “Drei Tage und ein Leben“ spielt 1999 kurz vor Weihnachten in Beauval, einem kleinen Ort in der Provinz. Der 12jährige Antoine lebt bei seiner Mutter. Der Vater hat die Familie verlassen. Odysseus, der Hund des Nachbarn Desmedt, ist ihm das Liebste auf der Welt. Mit ihm und dem 6jährigen Rémi Desmedt, verbringt er seine Tage im Wald, wo er ein Baumhaus baut. Eines Tages erschießt der Nachbar den von einem flüchtigen Autofahrer verletzten Hund, statt ihn zum Tierarzt zu bringen. In unkontrollierbarer Wut zerstört Antoine das geliebte Baumhaus und erschlägt den kleinen Rémi mit einem Ast. Anschließend versteckt er die Leiche im Wald und spricht mit niemand über das, was passiert ist. Zwei Tage lang rechnet er jeden Augenblick mit der Entdeckung der Leiche und seiner Verhaftung, aber schwere Stürme verwüsten die Region, und die Suche nach dem verschwundenen Kind hat nicht mehr oberste Priorität. Für Antoine ist von einem Augenblick zum andern nichts mehr, wie es war. Er wird seine Ängste und Schuldgefühle nie mehr los, versucht aber dennoch, ein halbwegs normales Leben zu führen. Er weiß so gut wie der Leser, dass er seiner Strafe nicht entgehen wird, aber bis zur überraschenden Auflösung es ein weiter Weg.
Der Roman ist sehr packend. Es ist kein Whodunit – der Täter und die Umstände der Tat sind von vornherein bekannt. Es ist auch kein Krimi, denn es geht nicht um die Erforschung der Vorgeschichte eines Verbrechens. Lemaitre hat einen düsteren Roman, einen  “roman noir“ geschrieben, in dem er fragt, was nach einer solchen Tat geschieht. Wie lebt man mit dieser Schuld? Kann es danach noch Normalität geben? Goncourt-Preisträger Lemaitre erzählt eine Geschichte, die berührt und beeindruckt. Ein sehr empfehlenswertes Buch.