Rezension

"Ich habe Angst, dass die Leute aufhören, nach mir zu suchen."

DEAR AMY - Er wird mich töten, wenn Du mich nicht findest - Helen Callaghan

DEAR AMY - Er wird mich töten, wenn Du mich nicht findest
von Helen Callaghan

Bewertet mit 4 Sternen

Nach einem Streit mit ihren Eltern packt die 15-jährige Katie Browne eine Tasche und verlässt wutentbrannt ihr Zuhause. Danach verschwindet sie spurlos. Die Polizei sucht eine Weile erfolglos nach dem Mädchen, hält sie aber für eine weitere jugendliche Ausreißerin und geht nicht von einem Verbrechen aus.
Katies Lehrerin Margot Lewis arbeitet nebenbei für das Lokalblättchen, sie hat dort unter dem Titel "Dear Amy" eine Ratgeber-Kolumne. Einige Wochen nach Katies Verschwinden erhält sie einen verstörenden Brief von einem Mädchen namens Bethan Avery, das behauptet, von einem Mann entführt worden zu sein, der sie nun schon seit einer Ewigkeit gefangen hält. Wie sich herausstellt, verschwand Bethan bereits in den Neunzigern, sie gilt offiziell als tot. Erlaubt sich hier jemand einen bösen Scherz mit Margot? Oder ist das Mädchen tatsächlich noch immer am Leben und in der Gewalt ihres Entführers?

"Dear Amy" wurde in Deutschland vom Knaur-Verlag veröffentlicht, der Debütroman der Autorin Helen Callaghan gehört zum Genre Psychothriller und ist mit einem "Premium-Crime"-Sticker belabelt. Dabei handelt es sich sozusagen um eine Art Gütesiegel des Verlages, mit dem besonders lesenswerte Thriller ausgezeichnet werden - im aktuellen Verlagsprogramm gibt es drei dieser Premium-Crime-Titel.
Die wunderbare Aufmachung des Buches möchte ich kurz erwähnen: Das Cover in den düsteren Schwarz- und Grautönen mit dem grell-grünen Akzent ist für mich ein absoluter Hingucker. Es handelt sich um ein großformatiges Softcover, und auf der Innenseite des Umschlags ist in krakeliger Handschrift der erste Brief von Bethan abgedruckt - ich hatte schon vor der ersten Seite absolutes Gänsehautfeeling.

Der Leser schaut der Ich-Erzählerin Margot Lewis über die Schulter, schlittert mit ihr in diesen Abgrund im Kampf gegen die Zeit, die für Katie allmählich abläuft. Zwischendurch gibt es kurze Kapitel aus der Sicht des Entführungsopfers Katie, die Einblick in ihr Martyrium geben. Und wie es sich für einen richtigen Psychothriller gehört, sind die Dinge oft nicht so, wie sie auf den ersten Blick erscheinen, wodurch für den Leser automatisch die richtigen Fragen aufgeworfen werden.

Mich hat dieser Thriller schon von der ersten Seite an gepackt, der Erzählton wird zunehmend düsterer und die Protagonistinnen Margot und Katie sind glaubwürdig gezeichnet. Ich konnte mich in beide hineinversetzen und mit ihnen mitfiebern. Besonders Katies Erlebnisse, obwohl oft nur angedeutet, sorgten für einen dicken Kloß im Hals. Das Szenario ist schließlich nicht so weit von realen Fällen wie Kampusch oder Fritzl entfernt, obwohl die Geschichte dennoch eine andere Richtung einschlägt.

Meiner Meinung nach hat Helen Callaghan einen tollen Thriller mit nachvollziehbarem psychologischen Hintergrund geschrieben, die Spannungskurve bewegt sich durchgehend aufwärts und lebt von der Frage, was mit Bethan Avery geschah.
Sie ist der Schlüssel zur aktuellen Entführung, der Schlüssel zu Katie, die nur gerettet werden kann, wenn das Geheimnis um Bethan rechtzeitig gelüftet wird.

Für die volle 5-Sterne-Wertung reicht es nicht ganz, weil ich schon recht früh die richtige Ahnung zur Auflösung hatte. Aber ich gebe vier Sterne, weil das die Spannung nicht im Geringsten gemindert hat - ich habe die zweite Hälfte des Buchs in einem Lesemarathon bis vier Uhr früh verschlungen, weil ich einfach nicht mehr aufhören konnte.