Rezension

Jocelyne Saucier schreibt sich mitten ins Herz

Niemals ohne sie - Jocelyne Saucier

Niemals ohne sie
von Jocelyne Saucier

Bewertet mit 4 Sternen

Nach „Ein Leben mehr“ war es für mich bereits beschlossene Sache, dass ich weitere Bücher von Jocelyne Saucier lesen würde. Mit ihrem Erstlingswerk hatte sie mich einkassiert. Umso größer war die Freude, als ich in der Verlagsvorschau auf „Niemals ohne sie“ stieß, ein Roman, der sich wieder in Kanada abspielen würde und mit den Themen Einsamkeit und Identitätsfindung spielte.

Worum geht es genau?

Die Cardinals sind eine Familie von Rebellen und Anti-Helden. Eine 23-köpfige Familie, die sich ihr eigenes Universum aufgebaut hat und für die kanadischen „Landeier“ nur Verachtung empfindet und sich wann immer es geht mit diesen reibt. Selber wachsen sie in Armut auf, sehen sich aber wortwörtlich als die Kardinäle ihres Dorfes Norco. Zentraler Punkt der Handlung ist ein Kongress, in dem der Vater, ein passionierter, aber nicht erfolgreicher Erzsucher, geehrt werden soll. Erstmals treffen alle Geschwister aufeinander und müssen sich ihren Dämonen der Kindheit stellen.

„Ich prügelte mich wegen der Dummheit der Landeier, wegen der viel zu langen Winter, wegen der unbarmherzigen Sonne und der Kriebelmücken im Sommer, wegen der unermesslichen Langeweile, ich prügelte mich, weil meine Träume zu groß für Norco waren, weil einem dort nichts geschenkt wurde, ich kämpfte, um nicht als Mädchen beschimpft zu werden, um nicht zur Zielscheibe von Geronimos Spott zu werden und damit niemand sich traute zu sagen, dass in Westmount ein Schloss auf mich wartete, damit niemand an mir zweifelte und damit du ihnen manchmal entwischen konntest, damit dein hübsches Kleid im Wind flattern und die Trostlosigkeit von Norco in schillerndem Tüll erstrahlen konnte.“ (S. 87)

Nacheinander erzählen einige der Geschwister ihre Perspektive auf ein ganz bestimmtes Ereignis in der Vergangenheit, das die Familie gleichzeitig entzweite und vereinte. Es geht um den Verlust eines der Geschwister Mädchen, um das sich für den Leser anfänglich ein großes Mysterium spinnt.

Sehr gekonnt wirft uns Jocelyne Saucier in die Köpfe der einzelnen Charaktere, die sich oberflächlich betrachtet sehr ähnlich sind, aber im Grunde genommen völlig unterschiedlich aus dieser teilweise sehr ungesunden Familiensituation entkommen sind.

Auch wenn ich zugegebenermaßen nicht so begeistert war wie bei ihrem Erstlingswerk, vermochte mich die Autorin dennoch wieder zu begeistern. Nicht jede Perspektive unterhielt mich gleichermaßen gut, aber letztendlich hat sich alles zu einem sehr tragisch-schönen Ende gesponnen, das mich stark berührt hat. Und meist ist es ja das Gefühl, mit dem man ein Buch verlässt, das sich einprägt.