Rezension

Lügen über meine Mutter - ein Jahreshighlight!

Lügen über meine Mutter -

Lügen über meine Mutter
von Daniela Dröscher

TW: Psychischer Missbrauch/Toxitivät/Gaslighting* 

"Meine Mutter kann stolz auf sich sein. Sie geht, wenn auch spät. Und sie hat ihr großes Herz nie verloren. Es braucht so vieles in der Welt. Entschlossenheit, Mut. Rebellion. Aber es braucht auch eine Million solcher Herzen. Die nicht versteinern, die wach und warm und offen bleiben, ganz gleich welche Narben die Welt ihnen zufügt."  (S. 441)

Dieses Buch - diese Geschichte - diese Autobiografie. Ich finde keine Worte dafür, wie tief sie mich berührt und schockiert zurückgelassen hat. Jede Seite, jedes Kapitel, jede neue Szene. Es ist definitiv mein Highlight in diesem Jahr, das sich kaum in Worte fassen lässt.

In dem Buch geht es um Daniela, die ihr Kinder-Ich und ihr Erwachsenen-Ich im Wechsel erzählen lässt. Anfangs ist man sich der Dramaturgie, der Traurigkeit und der Zerrissenheit, die in der Geschichte ihr Unwesen treibt, noch gar nicht bewusst. Doch Stück für Stück stellt sich heraus, in was für eine Familie sie geboren wurde und was das auf lange Sicht mit ihr gemacht hat. Ihr Vater, ein herber Charakter, undurchsichtig und schroff auf der einen Seite - innerlich Wut tragend und nach außen hin der Fürsorgliche. Einfühlsam und liebevoll, mit dem Hang zur ängstlichen Ader, die immer wieder wie Wasser aus einer Regentonne schwappt und sich explosionsartig gegenüber seiner Frau und wahnwitzigen Ideen entlädt. Ein sehr toxischer Charakter, wenn es darum geht seine Frau die Schuld an seinem Versagen und seinen unerfüllten Lebensvisionen zu geben. Es macht wütend, wie er seine Frau behandelt und doch spürt man, wie eingefahren seine angeborene Haltung ist. Dieses klassische Familienmodell, das in der Geschichte vorkommt, ist noch immer präsent in unserer Gesellschaft.

Diese Geschichte macht etwas mit einem und ich habe jegliche Gefühle durchlebt. Nicht nur als das Kind-Ich zu Wort kam, sondern auch das Erwachsenen-Ich, was lernte, mit den Erfahrungen der Vergangenheit umzugehen und vor allem leben zu müssen. Gefühle wie Wut, Scham, Empörung sind nur einige in dieser Achterbahn, dem schon fast brennenden Teufelskreis. Und allein, was die Mutter ertragen hat, ist an seelischem Missbrauch nicht zu überbieten. Boshaftigkeit und Machtspielchen, die niemand hätte ertragen können - geschweige wollen. Zwischen Care-Arbeit und dem Job fehlte eines: Anerkennung. Tief verankerte Wünsche, die von maskuliner Toxizität zerstört wurden. Aber das, was die Mutter für ihre Familie aushält, für ihre Tochter ist, mit nichts aufzuwiegeln. Leider – und auch nur allzu verständlich ist, dass der Schmerz, den die Mutter in sich trägt, gegenüber ihrer Tochter immer wieder zutage tritt, indem sie einfach nicht wirklich „anwesend“ ist, harsch reagiert oder gar nicht. Ihr fehlte die Kraft, das spürte ich und ist nur allzu verständlich. Doch es gab keine Kapitulation. Das Leben ging weiter. Für alle, auch wenn es zu keiner Zeit je wirklich einfacher wurde. Im Raum stand oft das Gewicht der Mutter. Es füllte den Raum sogar so sehr aus, dass selbst die Tochter ein verqueres, falsches Bild von ihr bekam. Und an dieser Stelle muss gesagt sein, dass sie durch das falsche Bild des Vaters geprägt wurde, der all seinen Misserfolg daran maß, dass seine Frau keine 90-60-90 hat. Oft wahrscheinlich auch, um sich nicht ändern zu machen – sich überhaupt zu reflektieren.

„Lügen meiner Mutter“ ist ein so wichtiges und aktuelles Buch, was Gefühle und Erinnerungen hat hochkochen lässt, dass es zu meinem Jahreshighlight wurde. Allein die Prägnanz in den Dialogen, die Emotionen genau auf den Punkt zu bringen und einen mitzureißen in den schwarzen Strudel voll Toxizität.

*Gaslighting wird in der Psychologie eine Form von psychischer Gewalt beziehungsweise Missbrauch bezeichnet, mit der Opfer gezielt desorientiert, manipuliert und zutiefst verunsichert werden und ihr Realitäts- und Selbstbewusstsein allmählich deformiert bzw. zerstört wird. (Quelle: Wikipedia)