Rezension

Opferrolle Mutter

Lügen über meine Mutter -

Lügen über meine Mutter
von Daniela Dröscher

Bewertet mit 3 Sternen

Wird kontrovers diskutiert. Meiner Meinung nach nicht (mehr)zeitgemäß.

Daniela Dröscher arbeitet in diesem Roman das Bild auf, dass sie aus kindlicher Sicht auf ihre Mutter hatte, die mit Gewichtsproblemen kämpfte, aber vor allem, eine unglückliche Ehe führte, denn der Vater lässt keine Gelegenheit aus, seine Frau zu demütigen, öffentlich fällt er ihr in den Rücken und privat ist er einfach ein unsensibler Kerl, der nicht weiß, wie man Partnerschaft buchstabiert. 

Der Kommentar:
Über die Figurenzeichnung in diesem Roman kann man trefflich streiten. Wer sagt, sie seien platt und schablonenhaft, hat durchaus recht und wer sagt, sie seien konkret und fassbar hat ebenfalls recht, aber leider nur deshalb, weil fast jeder ein Bild von real existierenden, den Schablonen entsprechenden Personen vor Augen hat. Das ist die Schwäche und die Stärke dieses Romans. Er spielt mit Rollen, die wir alle kennen. 

Auf der Bühne stehen der dämonisierte Vater, empathielos, unsensibel, überheblich und voller Minderwertigkeitskomplexe, ihm gegenüber die Mutter, tatkräftig, aber geduckt, unterdrückt und jedes Mal mit Liebesentzug bestraft, wenn sie aufmuckt, eine fatalistische Figur, voller Demut und Hingabe. 

Die Thematik der Abwertung der weiblichen Figur und der Forderung ihrer Optimierung ist es wert, literarisch verarbeitet zu werden. Dicksein ist in unserer Gesellschaft verpönt und wird mit Missachtung der Person und mit Herabsetzung derselben bestraft. Aber passiert dies in Dröschers Roman? 

Nein. Nicht wirklich. Der Roman bleibt privat. Familie unter sich. Was der Leser in dem Roman „Lügen über meine Mutter“ bekommt, ist insofern eine reine Familienerzählung aus kindlicher Perspektive, die nicht ins Allgemeine führt und natürlicherweise keine präzisen Innenansichten anbieteten kann. 

Die erzählende Sicht eines achtjährigen Kindes eignet sich überdies nicht für tiefgreifende Reflexionen und ist naturgemäß eingeschränkt. Denn sind es wirklich die patriarchalischen Strukturen der 1980er, die der Ehefrau eine Partnerschaft auf Augenhöhe verweigern oder ist es nicht doch „nur“ der labile Charakter des aus dem Dorf kommenden Vaters, der in vollkommen unsinnigen Entscheidungen immer wieder durchschlägt und der seine beruflichen Niederlagen an seiner Frau abarbeitet. Und wenn ja, woher kommt es? 

Die Mutter ist taff, hübsch und tatkräftig, aber durch den geringschätzigen Blick des Ehemanns erstarrt wie die Maus vor der Schlange. Sie lässt sich von ihrem Würstchen von Ehemann alles verbieten, was Spaß macht. Diese umfassende Opferrolle der Mutter ist um so weniger glaubhaft als eine unerwartete Erbschaft ihr eigentlich alle finanziellen Möglichkeiten in die Hände spielt, ihrem emotionalen Gefängnis zu entkommen. Warum schafft sie es nicht? 

Vieles an dieser Erzählung wirkt unausgegoren. Die Autorin stellt der gewählten Kinderperspektive nach jedem Kapitel einen kurzen essayistischen Einschub gegenüber, nun aus nachgereichter Erwachsenensicht. Diese kurzen Blöcke wirken zuerst wie aufarbeitende Gespräche mit der Mutter. Zu Anfang sind sie persönlich und durchaus interessant, aber dann werden immer mehr platte feministische Parolen aufgefahren und eingearbeitet, die belehrend, langweilig und platt sind; keine davon ist neu. 

Fazit: Obwohl flott geschrieben, einen gewissen Lesesog kann man dem Roman nicht absprechen, allerdings mit ziemlich schlicht gehaltenem Stil versehen, von hochliterarisch kann keine Rede sein -  bietet der Roman „Lügen über meine Mutter“ zwar ein gewisses Empörungspotential, - was lässt eine Frau alles mit sich machen – aber keine hinreichenden Erklärungen - warum lässt eine Frau alles mit sich machen. 

Die gesamtgesellschaftliche Einbindung betrachte ich als misslungen. Von mir gibt es daher leider keine Leseempfehlung für diesen Roman, der überraschenderweise auf die Longlist des Deutschen Buchpreises gelangte. 

Kategorie: Gute Unterhaltung
Verlag: Kiepenheuer & Witsch, 2022
Auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2022

Kommentare

Emswashed kommentierte am 11. September 2022 um 09:59

Ich kann Deine Kritik sehr gut nachvollziehen, außer dass es nicht mehr zeitgemäß sein soll. Wer seine Vergangenheit nicht kennt, ist blind für die Zukunft.