Rezension

Sinnsuche ohne Sinn

Zeiten der Langeweile -

Zeiten der Langeweile
von Jenifer Becker

Bewertet mit 5 Sternen

Die meisten Menschen u40 werden das kennen: Man verbringt teilweise Stunden mit sinnlosem Scrollen durch den Instagram Feed. Ein Katzenvideo folgt aufs nächste und plötzlich hat man viel mehr Zeit am Bildschirm verdaddelt, als man eigentlich vorhatte. Oder es gehen Stunden und Tage dafür drauf, dass man auf diversen Streaming-Plattformen Staffelweise Serien binged. Wer hat da nicht auch schonmal darüber nachgedacht, sich von sämtlichen Social-Media-Plattformen abzumelden und seine Zeit endlich wieder mit etwas Sinnvollem zu füllen?!

Der Hauptfigur und Ich-Erzählerin Mila geht das ähnlich. Allerdings geht es ihr weniger um Sinnhaftigkeit, als um die diffuse Angst davor, wegen irgendetwas gecancelt zu werden, was sie irgendwann mal online veröffentlicht hat. Was genau das sein soll kann sie auch nicht sagen aber man weiß ja nie. Mila fängt klein an und löscht Facebook und Instagram. Aber dort hört sie nicht auf. Immer weiter geht sie mit ihrer Sucht danach aus der Onlinewelt zu verschwinden und wird immer manischer – und immer einsamer. Und auch ein wirklicher Mehrwert in Milas Leben will sich durch den Verzicht einfach nicht einstellen.

Mir hat der Roman von Anfang bis Ende richtig gut gefallen! Jenifer Becker beschreibt exakt, was Social Media für meine (Millenial) und die folgende Generation bedeutet, wie ihr Konsum aussieht und was für Sorgen damit einhergehen. Dazu beschreibt sie die Zeit nach 2020 so realistisch und lakonisch nebenbei, wie ich es noch in keinem anderen Roman gelesen habe: Die Sorgen, die von einem großen Thema aufs nächste sprangen - Impfungen, Krieg, Inflation – das Leben aber eigentlich nur peripher berührten.

Ebenso gelungen fand ich Milas langsame aber stetige Steigerung in ihrer Online-Paranoia. Mila ist keine Sympathieträgerin. Mila kann einen verrückt machen beim lesen. Ich war oft nicht ihrer Meinung und habe mich stetig gefragt, was sie eigentlich will. Aber trotzdem fand ich die Entwicklung, wie Becker sie beschreibt absolut realistisch und ihre Gedanken durchaus valide.

Becker gibt einem in diesem Roman viel zum Nachdenken mit. Sei es über Privatsphäre, Konsumverhalten, Sinnhaftigkeit, Freundschaft und einiges mehr. Lösungen und Antworten muss man selbst finden. Ich bin jedenfalls durch diesen Roman geflogen und finde ihn besser, je länger ich darüber nachdenke. Langweilig fand ich ihn überhaupt nicht! Es hilft aber definitiv, wenn man sich auskennt in der Onlinewelt, mit ihrer Sprache und ihren Themen.

Für mich war es ein düsteres, trotz seiner Langsamkeit mitreißendes, wirklich kluges und rundum gelungenes Leseerlebnis! Große Empfehlung!