Rezension

Digital Detox extrem

Zeiten der Langeweile -

Zeiten der Langeweile
von Jenifer Becker

Bewertet mit 4 Sternen

Jenifer Becker schreibt ihren Debütroman aus der Sicht der Protagonistin Mila, die beschließt, alle ihre Datenspuren im Netz zu löschen und auch keine neuen mehr anzulegen. Was aus der Angst heraus begann, dass jemand im Netz eine vermeintlich schwerwiegende Jugendsünde finden könnte, die ihr dann auf die Füße fällt (Stichwort: Cancel Culture) steigert sich allmählich in eine Art Paranoia, dass alle, die ihr mit Smartphone in der Hand begegnen, auch Fotos oder Videos mit ihr machen könnten und diese dann doch wieder im Netz landen. Und ihre Angst vor elektromagnetischer Strahlung wächst, so dass sie auch hier immer extremere Maßnahmen ergreift.

Digital detox ist sicher ein großes Thema - der vernünftige Umgang mit den medialen Möglichkeiten aber auch. Wie viel Selbstdarstellung jemand braucht hängt sicher von der jeweiligen Persönlichkeit ab, der Roman zeigt aber auch deutlich die Schwierigkeiten, die im Alltag auftreten, sollte man gänzlich auf alles verzichten wollen, was mit dem Internet zu tun hat (wobei Mila nicht reflektiert, dass auch alle Telefongespräche heutzutage über das Internet vermittelt werden).

Der erste Teil des Romans konnte mich zunächst nicht wirklich packen, im zweiten Teil wurde es aber in der menschlichen Interaktion spannender. Der dritte, kürzeste Teil zeigt aus meiner Sicht eine extreme Gedankenwelt, endet offen, aber aus meiner Sicht nicht zu düster. Ein Roman, der mich durchaus zum Nachdenken über den eigenen Umgang mit den Möglichkeiten im Netz gebracht hat, wobei ich als Digital Immigrant, der Digital Natives beibringt, wie das Internet funktioniert, nicht mehr auf die mobil verfügbare Datenbasis verzichten möchte, auch wenn es immer mal wieder erschreckend ist, welche Dominanz das Smartphone mittlerweile im Alltag hat.

Ein Buch, mit dem ich erst warm werden musste, dessen Lektüre ich aber jedem mit Smartphone empfehlen kann, um vielleicht auch die eigenen Gewohnheiten gespiegelt zu bekommen.

Bleibt abschließend nur die Frage, wieviel autobiographisches neben Wohnort und Beruf noch im Roman steckt - oder ob hier die Geschichte einer Freundin verarbeitet wurde...

Kommentare

wandagreen kommentierte am 05. September 2023 um 15:17

Köstlich - der letzte Absatz. vielen Dank für deinen Input in der LR.