Rezension

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Spannend und kurzweilig, mit Höhen und mehr Tiefen

Aus schwarzem Wasser
von Anne Freytag

Bewertet mit 2.5 Sternen

Knapp 600 Seiten, die ich in zwei Tagen gelesen habe. Irgendwas hat das Buch also, lässt sich vermuten. Aber was? Ich versuche, es zu ergründen.

"Das Meer ist der Ursprung allen Lebens – und verbirgt eine tödliche Bedrohung."

Ich bin gebürtige Kielerin und brauche das Meer. Kein Wunder also, dass schon dieser Satz mindestens meine Aufmerksamkeit erhält. Der Klappentext verspricht einen "sprachlich brillianten" Thriller über "die Zerstörung unserer Umwelt und die Abgründe menschlichen Verhaltens." Und alles beginnt und endet mit Maja Kohlbeck. Am Anfang stirbt sie gemeinsam mit ihrer Mutter in der Spree, zweieinhalb Stunden später erwacht sie in einem Leichensack und flieht. Die Kapitel sind kurz, oft nur eineinhalb bis drei Seiten lang, wechseln zwischen verschiedenen Personen: Maja, Sofie, Maja, Maja, Daniel. Jedes Kapitel beginnt auf einer neuen Seite, dazwischen oft viel Leerraum und man merkt: Das Buch umfasst nicht wirklich 600 Seiten. Auf S. 26 gibt es das erste Mal eine Andeutung auf Sex, im Rückblick, als Erinnerung. Das fiel mir da nciht störend auf, aber das wird sich ändern.

Am Anfang möchte man erst einmal wissen, was hier eigentlich gerade passiert. Der Schreibstil ist flüssig, die Geschichte schnelllebig, die Seiten verfliegen. Sympathie bleibt für mich dabei weitesgehend auf der Strecke, die Protagonistin mag ich deutlich nicht. Daniel, ihr "Freund" (er liebt sie, sie liebt ihn nicht) ist der einzige, der bei mir Pluspunkte sammeln kann, mit Grilled Cheese-Sandwiches und Fürsorglichkeit:

"Daniel liebt es, wenn sie so durch seine Wohnung geht. Als wäre sie seine Freundin. Als wäre sie bei ihm zu Hause." (S. 44)

Das erste Kapitel ("Tag 1") ist in kürzester Zeit gelesen. "Tag 2" beginnt mit einem Traum Majas, der sich als Realität entpuppt. Etliche Menschen sind tot. Das wirft viele Fragen auf und so vergehen sie Seiten erneut schnell. Verschwörungstheorien, thrillerartige Szenen, Spannung – und dazwischen Erinnerungen an Sex, bei dem Orangensaft verschüttet wurde, sodass der Laptop der Protagonistin nicht mehr verwendet werden kann. Die Erklärung wirkt an den Haaren herbeigezogen, die Passage sprachlich schwach, ich hebe skeptisch eine Augenbraue und lese weiter.

Nur wenige Seiten später wird meine Skepsis erneut geweckt, wenn "Tanja Albers" als Figur eingeführt wird, eine Journalistin die als respektiert und als "eine der wenigen, sie noch was können" beschrieben wird. Alles was man danach von ihr erfährt, hört oder liest, entspricht zumindest nicht meinen Vorstellungen von gutem, investigativem Journalismus, sondern eher nach dem Schreibling vom regionalen Käseblatt. Durch sie und ihren Artikel erfährt Maja allerdings von ihrem ominösen Zwillingsbruder. Das klingt, als würde es für die Handlung noch relevant – wird es aber doch nicht. Zumindest nicht so richtig. Stattdessen lernen wir andere Personen kennen, darunter Robert Stein. Der ist relevant, sogar sehr. Am Anfang wirkt er wie eine Vaterfigur für Maja und man will ihn mögen, darf ihm aber natürlich nicht trauen – denn das war eine Eingangswarnung. Traue niemandem.

Es folgt der erste Rückblick, rund 20 Jahre zuvor, zu Patricia Kohlbeck, Majas Mutter, als Forscherin und (vor allen Dingen!) Liebhaberin Robert Steins. Das wird ausführlich und immer (immer, immer) wieder betont. "Sie haben eine komplexe Beziehung, Patricia und er, weit mehr als nur Sex und weit weniger, als er eigentlich will." (S. 107). Mehr als Sex? Sicher? Zumindest viel Sex. Dazwischen – ist das dieses "weit mehr"? – Drohungen ("ich könnte Deine Karriere beenden" – "ich könnte Deine Ehe beenden") und Verrat. "Stein sollte sie rauswerfen. Ihr zeigen, dass man sich ihn besser nicht zum Feind macht. Noch ist sie ein Niemand, er hat sie in der Hand. Doch dann spürt er ihre in seinem Schritt." (S. 110). Das ist dann wohl diese sprachliche Brillianz und so. Vielleicht aber auch eher die menschlichen Abgründe? Mh. Hmh. Entsprechende Beschreibung ziehen und häufen sich. Keine großen Sympathien, sagte ich schon, oder?

Dazwischen erfährt man aber zumindest auch relevante Informationen über die Forschungen und, dass diese sehr tiefgehend sind. Die Menschen sind auf der Welt nicht allein, es gibt eine zweite Spezies, Marin, Wassermenschen, auf den ersten Blick ununterscheidbar von Menschen, aber mit besonderen Fähigkeiten. Das wirft erneut viele Fragen auf, aber auch mögliche Antworten. Dass Maja Marin sein könnte, ist eine frühe Vermutung und bestätigt sich später zumindest halb.

Zurück in der Gegenwart stirbt zunächst einmal der einzige Sympathieträger (schade, Daniel, war nett mit Dir), dann treffen sich Maja und die Ausnahmejournalistin Tanja Albers (kennt ihr den Begriff "cringy"? Der trifft die Szenen perfekt, es ist kaum auszuhalten), außerdem erhält Maja den Nachlass ihrer Mutter und wir lernen Efrail kennen. Wir wissen, wir sollen niemandem trauen, aber Efrail bleibt. Es kommt erneut ein Rückblick, der zwar erneut neue Informationen mit sich bringt, aber auch schlechte, gezwungene Dialoge und sexuelle Anspielungen.

So geht es weiter. Wechsel zwischen hier und jetzt und damals, Spannung, mehr schnelllebige Szenen, mehr Verschwörungstheorien. Marin und Menschen befinden sich in einem kalten Krieg, der eskaliert und auf beiden Seiten etliche Leben kostet. Alle, die an Problemlösungen beteiligt sind, sind triebgesteuert. Vielleicht ist das wirklich die Botschaft des Romans, dass die menschlichen Abgründe sexfokussiert sind. Die Präsidentin denkt bei der Krisenkonferenz an die Orgasmen, die sie mal mit Robert Stein erlebt hat, der denkt sowieso immer an den Sex mit Patricia Kohlbeck zurück, deren Tochter Maja schläft kurz nach dem Tod ihres nicht-wirklich-Freundes Daniel mit dem Marin Efrail und auch die nach einer Entführung befreite Sofie fasst als einen der ersten klaren Gedanken nach ihrer Befreiung, dass sie eigentlich nur einen Urlaub mit viel Sex haben wollte. Achja, nur die Marin haben eigentlich keinen Sex mehr, was aber wiederum ganz neue Probleme mit sich bringt. Klingt konfus? Ist es auch und wird es noch mehr.

Ich belasse es mit meinem Erfahrungsbericht dabei. Mein Fazit:

Es ist ein spannendes Buch. Die Sprache ist lebendig und trägt einen durch die 600 Seiten, die in Wirklichkeit wesentlich weniger sind. Es gibt Passagen, die mir sprachlich gelungen erscheinen, aber auch viele, die es nicht sind. Zugrunde liegt inhaltlich eine spannende Idee, die mir aber in vielen Stellen zu oberflächlich behandelt wird. Die Bezüge zur Realität sind an vielen Stellen klar zu erkennen, aber mir nicht genug ausgeschöpft. Ich bin nicht überzeugt. Ich kenne keinen, dem ich das Buch empfehlen würde. Es ist für mich auch kein ganz klarer Thriller, trotz der grundsätzlichen Spannung, definitiv trotz einigen Gedanken in der Richtung auch kein Politthriller, trotz der zahlreichen sexuellen Anspielungen auch kein Erotikthriller. Nichts so richtig, irgendwie, und vielleicht ist das für mich auch Teil des Problems.