Rezension

Spannung pur!

Das Wesen - Arno Strobel

Das Wesen
von Arno Strobel

Bewertet mit 5 Sternen

Im Januar 1994 wird die vierjährige Juliane Körprich ermordet aufgefunden. Für den Kriminalkommissar Alex Seifert ist es der erste Mordfall in dem er gemeinsam mit seinem erfahreneren Partner, dem Oberkommissar Bernd Menkhoff, ermittelt. Durch Zeugenaussagen gerät der Psychiater Dr. Lichner ins Visier der Ermittler. Oberkommissar Menkhoff ist sofort davon überzeugt, dass der Psychiater Julianes Mörder ist. Verbissen sucht er nach Beweisen. Seinem jungen Kollegen Seifert kommen jedoch Zweifel, dennoch wagt er nicht, seinen älteren Partner zu kritisieren und die Ermittlungen in andere Bahnen zu lenken. Doch Menkhoff scheint mit seinem Verdacht richtig zu liegen, denn plötzlich tauchen Beweise auf, die Dr. Lichner schwer belasten. Das Gericht verurteilt den Psychiater zu über zehn Jahren Gefängnisaufenthalt. Doch Lichner beteuert seine Unschuld.

Im Juli 2009 ermitteln die Kommissare Seifert und Menkhoff noch immer gemeinsam. Kurz vor Feierabend erreicht die Partner ein anonymer Hinweis. Ein unbekannter Anrufer gibt an, dass aus einer Wohnung ein Kind verschwunden ist. Die beiden fahren umgehend zur genannten Adresse und erleben eine Überraschung. Denn die Wohnungstür öffnet der als Kindermörder verurteilte Psychiater Lichner. Er ist mittlerweile auf freiem Fuß und vom Besuch der Beamten irritiert. Lichner gibt an, keine Tochter zu haben. Er hat sofort die Vermutung, dass die beiden ihm etwas anlasten wollen. Widerwillig lässt er zu, dass die Kommissare sich in seiner verwahrlosten Wohnung genauer umsehen. Die beiden finden keine Anzeichen, die auf ein Kind hindeuten und müssen ihre Suche ergebnislos abbrechen. Doch Menkhoff lässt nicht locker. Genauere Ermittlungen ergeben schießlich, dass Lichner doch eine Tochter hat. Eine Nachbarin gibt an, Lichner mit einem kleinen Mädchen gesehen zu haben. Doch der Psychiater streitet alles ab. Erneut beginnt Kommissar Menkhoff den Psychiater verbissen zu verfolgen....

Das Buch beginnt im Jahr 2007 mit einem Prolog. Hier beobachtet man einen Mann, der nach über dreizehn Jahren Gefangenschaft die Justizvollzugsanstalt verlässt. Der Mann scheint ziemlich wütend zu sein. Dann wechselt das Geschehen ins Jahr 2009. Aus der Ich-Perspektive des Kriminalkommissars Alex Seifert betrachtet man den Einstieg in aktuellen Fall. Dieser Handlungsstrang wird allerdings durch Rücksprünge in das Jahr 1994 unterbrochen. Hier erfährt man, welche gemeinsame Vergangenheit die beiden Ermittler und der damals verurteilte Psychiater Lichner haben. Diese Rückblenden werden ebenfalls in der Ich-Perspektive, aus der Sicht des seinerzeit noch unerfahrenen Kommissars Seifert, erzählt. Diese beiden Perspektiven bestimmen abwechselnd die Handlung, bis der Leser genug Information über den alten Fall gesammelt hat und den Wissenstand des Ich-Erzählers Seifert teilt.  Die Erzählung ist in relativ kurze Kapitel unterteilt, die mit dem Datum und manchmal auch der Uhrzeit der Handlung überschrieben sind. Diese Angaben helfen dabei, die Übersicht bei den häufigen Perspektivenwechseln zu behalten. Trotzdem wirken die ständigen Wechsel am Anfang etwas verwirrend, doch nach kurzer Zeit hat man sich daran gewöhnt und kann den Ereignissen problemlos folgen.

Der Einstieg in diesen Psychothriller ist zunächst eher gemächlich. Langsam sammelt man wichtige Hintergrundinformationen . Doch schon nach kurzer Zeit steigt die Spannung deutlich an. Durch die häufig wechselnden Perspektiven und die kurzen Kapitel, die an entscheidenden Stellen stoppen, gerät man beinahe unbemerkt in den Sog der Handlung und kann sich kaum vom spannenden Geschehen lösen. Mit hohem Tempo fliegt man über die Seiten und zieht erste Schlüsse aus dem Gelesenen. Doch Arno Strobel versteht es geschickt falsche Fährten auszulegen, denen man bereitwillig folgt. Die Handlung hält also einige Überraschungen bereit und wirkt nicht vorhersehbar. Besonders erwähnenswert dabei ist, dass sie  durchgehend spannend ist und ohne großes Blutvergießen auskommt.

Die Protagonisten wirken authentisch. Eine besondere Beziehung baut man natürlich zu dem Ich-Erzähler Seifert auf. Seine Gedanken und Gefühle erlebt man hautnah mit. Da in ihm die Zweifel an der Schuld des verurteilten Kindermörders Lichner nie ganz ausgeräumt wurden, übertragen sich diese Gefühle auch auf den Leser. Sein Partner Menkhoff ist schwer einzuordnen. Einerseits wirkt er sympathisch und glaubwürdig, doch im nächsten Moment lassen seine Handlungen ihn in einem anderen Licht erscheinen, sodass man Menkhoff eher misstrauisch betrachtet. Auch bei Dr. Lichner fällt es schwer eine Entscheidung zu treffen. In einem Moment ist man von seiner Unschuld überzeugt, doch dann schleichen sich ganz leise die ersten Zweifel an. Die damalige Lebensgefährtin von Dr. Lichner, die zerbrechlich wirkende Nicole, löst zwischen Menkhoff und Lichner Rivalität aus, denn Kommissar Menkhoff empfindet einiges für die Zeugin. Mit diesen Hauptprotagonisten, die durch ihre Schwächen und Stärken glaubwürdig und lebendig wirken, gelingt es Strobel, den Leser immer wieder in die Irre zu führen und Zweifel zu säen.

Krimis und Thriller gehören zu meiner bevorzugten Lektüre und deshalb habe ich natürlich schon unzählige Vertreter des Genres gelesen. Selten habe ich ein Buch so schnell verschlungen wie "Das Wesen" von Arno Strobel. Durch die ständigen, geschickten Perspektivenwechsel und die durchgehend spannende Handlung, habe ich das Buch beinahe in einem Rutsch durchgelesen und mir damit die halbe Nacht um die Ohren geschlagen, da ich einfach erfahren musste, wie es endet. Ich vergebe deshalb fünf von fünf Bewertungssternen und spreche eine begeisterte Leseempfehlung aus.