Rezension

Trifft genau den Nerv der Zeit!

Ein wirklich erstaunliches Ding - Hank Green

Ein wirklich erstaunliches Ding
von Hank Green

Der US-amerikanische Videoblogger William Henry alias „Hank“ Green, der zusammen mit seinem Bruder John Green den Kanal „Vlogbrothers“ betreibt, veröffentlichte 2018 sein Debütroman. Ende Februar ist dieser in Deutschland unter dem griffigen Titel „Ein wirklich erstaunliches Ding“ im neuen dtv-Label „bold“ erschienen. Als große Book Drop-Aktion wurden, parallel zum Handlungsbeginn des Romans, am Erscheinungsdatum in ganz Deutschland Exemplare des Buchs in der Öffentlichkeit verteilt. Der Finder darf das Buch mitnehmen, es auslesen und soll es dann in wieder an einem öffentlichen Ort auslegen, um durch dieses Projekt den Inhalt des Buchs an möglichst viele Leute weiterzutragen. Ich durfte als Blogger an dieser Aktion teilnehmen und habe hierfür fünf Exemplare des Buchs in Aschaffenburg verteilt. Wenn ihr in einer deutschen Stadt unterwegs seid: Haltet die Augen offen – vielleicht findet ihr ja auch ein verstecktes Exemplar!

 

Was hat es denn mit dieser Book Drop-Aktion überhaupt auf sich? Nun ja, in der Geschichte geht es darum, dass über Nacht auf der ganzen Welt mysteriöse Roboterskulpturen, die später nur noch mit dem Namen ‚Carl‘ angesprochen werden, auftauchen und niemand so recht weiß, was es mit ihnen auf sich hat. In die Handlung sind viele aktuelle Aspekte eingewebt, wie beispielsweise der große Überbegriff „Soziale Netzwerke“. Dass die Bücher deutschlandweit von Buchbloggern verteilt wurden, verdeutlicht diesen Inhalt ja. Es ist also eine geschickt ausgedachte Aktion, die dem Buch (und dem neugestarteten Verlagslabel) zu größtmöglicher Aufmerksamkeit helfen soll. Ich finde die Idee dahinter spannend und unterstütze daher dieses Projekt!

 

Wenn um ein neu erschienenes Buch aber solch ein Trubel in den sozialen Netzwerken und drum herum gemacht wird, dann geht man als Leser sicherlich mit einer etwas erhöhten Erwartungshaltung an den Roman heran. Schließlich möchte man ja wissen, was hinter dem großen Prozess steckt.

 

„Ein wirklich erstaunliches Ding“ ist eine Fundgrube an interessanten Ansätzen, modernen Ideen und rasant-realistischen Entwicklungen. Es ist eine wahre Freude, dieses Buch zu lesen. Der Schreibstil von Hank Green klingt angenehm unverkrampft. Wenn man über derartig zeitgemäßen Stoff schreibt, gerät man recht schnell in Gefahr, jugendliche Ausdrucksweisen nachzuahmen anstatt sie anzuwenden. Das ist hier, Carl sei Dank, nicht der Fall.

 

Die Wahl seiner Protagonistin erweist sich als ein wahrer Glücksgriff. April May (ja, ich denke, dieses Wortspiel ist in dieser Hinsicht durchaus beabsichtigt) gerät völlig ungewollt in den Strudel der Ereignisse. Mit ihrer cleveren, humorvollen, aber durch ihre pure Sturheit auch sehr eigenen Seite zeigt der Autor, dass er vielschichtige Charaktere erschaffen und geschickt in seine Handlung integrieren kann. Die innere Entwicklung, die sie dabei durchschreitet, erscheint (größtenteils) glaubwürdig und authentisch. Zwar bleiben einzelne Figuren doch zu wenig im Hintergrund, für deren Etablierung ich mir einen stärkeren Fokus gewünscht hätte, so bin ich insgesamt durch das Figurenensemble jedoch zufriedengestellt.

 

Eine weitere Stärke entpuppt sich während der Entfaltung der gesamten Handlungstragweite. Autor Hank Green geht bei einer Invasionsgeschichte mit fremdartigen Wesen, die ohne Vorwarnung auf der Erde erscheinen, nicht den üblichen Weg, nein, tatsächlich machen die Carls nur wenige Prozent der gesamten Geschichte aus. Er weiß, eine spannende und temporeiche Geschichte zu erzählen, bei der die Rolle des Pro- bzw. Antagonisten nicht klar definiert ist. Auf das Erscheinen merkwürdiger Roboterskulpturen reagiert die Menschheit auf die wahrscheinlich realistischste Art und Weise: Sie spaltet sich in zwei Gruppen. Es geht nicht um die Motivationen der Carls; es ist vielmehr ein Roman, der sich mit den menschlichen Reaktionen auf fremde Lebensarten auseinandersetzt und zu ganz faszinierenden Erkenntnissen gelangt (Stichwort: Traum).

 

‚Social Media‘ – ebenfalls eine Thematik, die in dem Buch stark behandelt wird. April May, unsere Protagonistin, eine freche Kunststudentin, die sich durch einen Zufall zu einem der derzeitig größten Stars etabliert, muss sich genau dessen bewusst machen: Wie ist es eigentlich, berühmt zu sein? Zwar entwickelt sich aus dem Rausch, dem April ausgesetzt ist, eine schwer zu stoppende Sucht, so werden hier doch sowohl die Vor- als auch die Nachteile an Berühmtheit und der damit verbundenen Macht und Verantwortung eindrucksvoll aufgewiesen.

 

Das Ende lässt mich unbefriedigt zurück. Aber auf positive Art und Weise. Erst wenn man weiß, dass auf dieses Buch eine Fortsetzung folgen wird, kann man sich damit zufrieden geben, sich über einen gemeinen Cliffhanger aufregen und das abrupte Gefühl überwinden, das mich mit dem Beenden der Lektüre erschlichen hat. Ich bin definitiv sehr neugierig auf die geplante(n) Fortsetzung(en)…

 

Aber: Wo (viel) Licht ist, da ist leider auch (ein wenig) Schatten. Wie eingehend schon erwähnt, finde ich, dass man sich mehr Zeit mit dem Einführen der Nebencharaktere hätte nehmen können, die für die gesamte Handlung eben doch wichtig sind. Auch stört mich an einigen Stellen die enorm lange Kapitellänge. Das Buch wirkt auf mich eher wie ein temporeiches und rasantes Abenteuer durch die heutige Zeitgeschichte; zwischendrin verliert es jedoch ein wenig an seinem futuristischen Glanz und seinem erzählerischen Tempo. Um das sehr hohe Niveau stetig durchzuhalten, hätte ich mir ein wenig mehr Straffung im Mittelteil gewünscht.

 

Ein letzter Punkt noch: Unbestreitbar handelt es sich bei vorliegender Lektüre um einen Springbrunnen an verschiedenen kreativen Ideen, die gelungen umgesetzt sind. An der einen oder anderen Stelle wirkt die Handlung jedoch zu übertrieben, zu aufgeblasen. Hätte der Autor mehr Ernsthaftigkeit beim Verfassen der Geschichte bewahrt, wäre ihm dieser Fehler wahrscheinlich nicht unterlaufen. Jedoch: Man merkt, dass der Autor sich wohl in seinem eigenen Roman fühlt und sich richtig austobt in seinem eigenen Szenario. Als Leser nimmt man ihm vollkommen den lebendigen Spaß, den er zweifelsohne am Schreiben besitzt, ab. Und das ist die Hauptsache.

 

„Ein wirklich erstaunliches Ding“ ist ein wirklich erstaunliches Leseabenteuer, das aus seiner Fülle an kreativen, modernen und spannenden Ideen nur so überquillt.

 

Ich vergebe gerne sehr starke vier von fünf möglichen Sternen, mit deutlicher Tendenz nach oben. Danke an den dtv-Verlag, dass ich bei der Book Drop-Aktion mitwirken durfte und ebenfalls bedanke ich mich für die Zusendung des Rezensionsexemplars.