Rezension

trotz Längen kurzweilig und nett zu lesen

Man sieht sich -

Man sieht sich
von Julia Karnick

Bewertet mit 4 Sternen

Junge trifft Mädchen - Mädchen trifft Junge // eine Geschichte über das Ja-Nein-Vielleicht, über den falschen Zeitpunkt und verpasst Chancen & ein Buch mit viel guter Musik!

August 1988. Robert ist neu an der Schule. Schon am ersten Tag läuft ihm Friederika über den Weg. Sie nennt sich Frie, hat das gesunde Selbstbewusstsein eines Mädchens aus gutem Hause und Robert verliebt sich sofort in sie. Die beiden freunden sich an, werden gute, beste Freunde – und das war’s. Es hat sich einfach nie mehr ergeben.
Nach dem Abi 1991 trennen sich die Wege, Frie geht als AuPair nach Australien, Robert zum Zivildienst nach Hamburg.
 
„Er gab ihr ein Mixtape, das in seiner Hosentasche steckte. Auf der Hülle stand: Der beste Juni unseres Lebens. Es war all die Musik, die sie zwischen letztem Schultag und Zeugnisübergabe ständig gehört hatten.“ (S.128)
 
Nach ihrer Rückkehr beginnt Frie in Hamburg Jura zu studieren. 
Sie trifft Robert wieder und erkennt, dass sie etwas für ihn empfindet - nur ist er grad leider völlig anderweitig interessant und Fries Idee vom Verliebtsein platzt wie eine Seifenblase.
 
Monate, Jahre vergehen. Frie und Robert richten sich ihre Leben ein, sind mal Single oder in einer Beziehung, in Hamburg und Dresden, verfolgen familiäre und berufliche Ziele. Nur weil man sich nicht und nur flüchtig sieht, nur sporadisch Kontakt hat, heißt das nicht, dass die Erinnerungen nicht lebendig sind, man nicht an den anderen denkt. 
Beiden ergeht es so, mal mehr, mal weniger. Aber immer wieder.
 
Im Mai 2022 findet ein Klassentreffen statt. Werden sie sich dort begegnen und nun endlich zueinander finden?
 
Mit Frie und Robert hat Julia Karnick zwei Charaktere geschaffen, die mir beide sympathisch sind. Ausführlich lässt die Autorin die Lesenden an den vielen „knapp vorbei ist auch daneben“ der Beiden teilhaben, ein bis zwei „hurra, ach nee doch nicht“ weniger wären für mich auch okay gewesen.

„Zum ersten Mal seit Langem war sie mal wieder so richtig ins Leben verknallt.“ (S.313)
 
„Man sieht sich“ hat mich in die Zeit Ende der 80er / Anfang der 90er zurückversetzt. Wenn ich heute die Fotos vom Schulabschluss betrachte, gibt es darauf einige Menschen, die ich aus den Augen verloren und deren Namen ich vergessen habe. Aber der Soundtrack von damals begleitet mich noch immer.
 
Frie und Robert verlieren sich nie aus den Augen. Zwar ist die Distanz oftmals sehr groß, der Zeitpunkt nicht der richtige, ihre Lebenswege zu unterschiedlich – und doch spürt man in dem gesamten Roman, wie wichtig sie einander sind. Julia Karnick erzählt unaufgeregt eine Geschichte von Freundschaft, Liebe und verpassten Chancen und es fühlt sich an, als ob man mit einer guten Freundin beim Kaffee sitzt und sie berichtet, was aus zwei ehemaligen MitschülerInnen geworden ist.
 
Natürlich ist mein kleines schwarzstrubbeliges Herz bei dieser Zeile aufgegangen:
 
„Plötzlich kapierte Robert Haase, wer Robert Schmidt war. „Mann, ich schnall’s erst jetzt. Du meinst Robert Smith?““ (S. 32)
 
und mir gefällt die Tracklist am Ende des Buches, die ein hervorragendes Mixtape (nur echt auf Kassette) abgeben würde. 
Mixtapes, Tabu spielen, Bier ab 4 … der Roman bietet die Gelegenheit zu tollen Flashbacks und
 
„Ein paar Sekunden lang wurden sie beide wieder sehr jung.“ (S.306)
 
Ich auch, beim Lesen. Schön war‘s.

Nette Unterhaltung, trotz Längen kurzweilig und gut lesbar – und mit einer ordentlichen Menge guter Musik!