Rezension

Was für ein grandioser Roman!

Kleine Feuer überall
von Celeste Ng

Bewertet mit 5 Sternen

Vielleicht erinnert ihr euch noch daran: Celeste Ngs erster Roman, Was ich euch nicht erzählte, hat mich absolut von den Socken gehauen. Logisch also, dass ich super gespannt war auf Kleine Feuer überall. Auch diesmal geht es wieder um eine scheinbar ganz normale und glückliche Familie: Die Richardsons leben im beschaulichen Vorort Shaker Heights - ein Ort, der ihr Leben bestimmt. Denn in Shaker Heights ist alles bis ins kleinste Detail geregelt, von der Farbe der Häuserfassaden über die Höhe des Rasens bis hin zur Erziehung der Kinder. Elena Richardson schätzt diese Regeln und setzt sie eisern um, mich hat das Bild von Shaker Heights, das Celeste Ng in ihrem Roman zeichnet, allerdings mehr abgeschreckt als begeistert. Was für ein furchtbarer Ort zum Leben - Individualität scheint dort geradezu verpönt zu sein und eigentlich geht es von früh bis spät nur darum, was die anderen Menschen von einem halten. Das Leben in Shaker Heights wirkt auf mich wie der reinste Zwang und ich finde es großartig, wie Celeste Ng den Leser hinter die perfekte Fassade blicken lässt. Denn natürlich ist auch dort alles mehr Schein als Sein.

Ich habe meine Zeit gebraucht, um in die Geschichte hineinzufinden, die vielen verschiedenen Charaktere und Perspektiven und die wirklich sehr detailreichen Beschreibungen des Lebens in Shaker Heights haben mich aber bald gefangen genommen. Man spürt von Anfang an, dass es gewaltiges Konfliktpotenzial gibt - insbesondere durch das Auftauchen der unkonventionellen Mia, die ordentlich am friedlichen, geregelten Leben der Richardsons rüttelt. Mia ist alleinerziehend und führte gemeinsam mit ihrer 15-jährigen Tochter Pearl bisher ein Nomadenleben. In Shaker Heights will sie sesshaft werden, stößt mit ihren beinahe revolutionären Ansichten aber schnell auf Widerstand. Mit Mia und Elena stellt Ng zwei vollkommen gegensätzliche Muttertypen gegenüber - Elena als perfekte Übermutter, die dafür sorgt, dass ihre Familie repräsentabel bleibt und ihre Kinder den für sie vorgesehenen Weg einschlagen. Mia, die als freischaffende Künstlerin nur das tut, was sie wirklich tun will, und ihrer Tochter zwar finanziell nicht viel bieten, sie dafür aber uneingeschränkt lieben kann und immer ein offenes Ohr für ihre Probleme hat.

Die Handlung ist weder rasant noch voll mit Spannungsmomenten, aber das macht absolut gar nichts. Denn das Leben in Shaker Heights und das unterschwellige Brodeln, das man von der ersten Seite an wahrnimmt, sind packend genug. Die Dynamik zwischen den grundverschiedenen Charakteren tut ihr Übriges - zum einen natürlich Elena und Mia, aber auch die Richardson-Kinder und Pearl, die magisch angezogen wird vom unbeschwerten, sorgenfreien Leben der Richardsons und sich zum Erschrecken ihrer Mutter mehr und mehr verändert. Mia befürchtet dabei vor allem, dass Pearl sich selbst verliert und, geblendet vom Geld der Richardsons, vergisst, wer sie wirklich ist.

Zusätzlich schneidet Ng Themen wie Leihmutterschaft, Adoption und Abtreibung an und beleuchtet, wie mit solchen vermeintlichen Tabuthemen in einer Gemeinschaft wie der in Shaker Heights umgegangen wird. Sie geht dabei so geschickt und feinfühlig vor, dass zumindest ich mir keine eindeutige Meinung bilden konnte. Ngs Geschichte und die Schicksale ihrer Charaktere haben mir gezeigt, wie komplex und kompliziert solche Themen sind und letztlich auch, wie wichtig es ist, offen damit umzugehen und sie eben nicht, wie das in Shaker Heights praktiziert wird, unter den Teppich zu kehren. Anderssein ist dort verpönt, was Ng auch mithilfe der jüngsten Tochter der Richardsons mehr als deutlich macht: Izzy passt sich nicht an, sie geht ihren eigenen Weg und hat starke Prinzipien, die sie vehement verteidigt. Sie scheint die einzige zu sein, die realisiert, wie unperfekt das Leben der Richardsons unter der Oberfläche ist, und das macht sie zu einem der interessantesten Charaktere.

Die Worte "kleine Feuer überall" beschreiben einfach auf sensationelle und dabei so kluge Weise das Leben in einem Vorort wie Shaker Heights. Celeste Ngs Roman hat eine Symbolkraft, die mich beim Lesen schier umgehauen hat. Denn auch wenn das Leben eigentlich schön ist und nicht, wie bei anderen Menschen vielleicht, komplett in Flammen steht, können sich durch Geheimnisse, Lügen und Schweigen kleine Brandherde bilden, die sich beinahe unbemerkt ausbreiten und am Ende eben doch alles in Schutt und Asche legen. Ich liebe dieses Bild und ich liebe es, wie Celeste Ng es auf das augenscheinlich makellose Leben der Richardsons anwendet und wie sie dem die chaotische, aber freie und glückliche Lebensweise von Mia und Pearl gegenüberstellt. Ng gibt uns wieder jede Menge Stoff zum Nachdenken und eine Geschichte, die uns erlaubt, hinter die Fassade zu blicken, und die uns dabei großartig unterhält.

Mein Fazit:
Eindringlich und fesselnd erzählt Celeste Ng in ihrem zweiten Roman Kleine Feuer überall von Geheimnissen, Lügen und dem perfekten Leben, das vielleicht doch kaputter ist, als man das von außen denken würde. Ich habe gebannt verfolgt, wie die vielschichtigen Charaktere miteinander agieren, wie sie sich mehr oder weniger gut in das perfekte Vorstadtleben einfügen und wie die kleinen Feuer, unbemerkt erst und dann mit alles verschlingender Intensität, zu schwelen beginnen. Ich bin wieder einmal begeistert - und spätestens jetzt ein großer Fan von Celeste Ngs Geschichten!