Rezension

wichtig und lehrreich

Kim Jiyoung, geboren 1982 -

Kim Jiyoung, geboren 1982
von Nam-joo Cho

Bewertet mit 5 Sternen

Kim Jiyoung, Mitte dreißig, lebt in Korea zusammen mit ihrem Mann in einer kleinen Wohnung. Sie hat gerade ihr erstes Kind bekommen und deswegen aufgehört zu arbeiten als ihrem Mann seltsame Symptome auffallen: Jiyoung schlüpft in die Rollen anderer Frauen wiez. B. die ihrer Mutter oder Schwiegermutter. Daraufhin schickt ihr Mann sie zu einem Psychiater, der nunihre Geschichte erzählt. Das Buch ist ein iternationaler Bestseller und v.a. in Korea viele Menschen erreicht hat. Und das hat es auch verdient. Während die ersten Seiten in denen Jiyoungs Psychose geschildert wird noch etwas seltsam anmuten, zieht einem ihr Leben vollkommen in seinen Bann. Dieses Leben steht stellvertretend für das Leben vieler Fauen in Korea, aber auch der Welt. Es beginnt mit ihrer Mutter Misuk und ihrer Geburt. Jiyoung hat noch eine ältere Schwester, doch mit jedem Mädchen wird Misuk mehr unter Druck gesetzt, endlich einen Sohn zu bekommen. Denn nur der Sohn ist wichtig, nur das zählt, die Mädchen sind unwichtig und nur Ballast. Das geht so weit, dass Misuk ihr ungeborenes Kind abtreiben muss, weil es wieder kein Junge ist. Und auch bei diesem schweren Schritt ist sie ganz allein. "Misuk ging also allein ins Krankenhaus und ließ die jüngste Schwester von Jiyoung ›entfernen‹. Sie hatte keine Wahl, denn es war ihr Versagen. Sie litt körperlich und seelisch unter ihrer Entscheidung, konnte jedoch nicht darauf hoffen, dass jemand aus ihrer Familie sie tröstete. Einzig die Ärztin hielt ihr die Hand und zeigte Mitleid mit der jungen Mutter, die wimmerte wie ein Tier, das sein Junges verloren hatte." Schon vor Jiyoung war es ihre Mutter Misuk, die mich unglaublich berührt und erschüttert hat, mit dem, was sie ertragen muss. Sie ist so eine tolle und starke Frau, die sich trotz allem liebevoll um ihre Töchter kümmert und zwar nicht verhindern kann, dass ein Sohn bevorzugt behandelt wird, aber die sie dennoch in ihren Träumen und Wünschen untersützt. Der gesellschaftliche Unterschied zieht sich auch durch Jiyoungs ganzes Leben. Und auch, wenn sie es vermeintlich besser hat, da sie zur Schule und studieren gehen kann, muss sie sich stets als weniger wert betrachtet sehen. Diese Unterschiede sind wie selbstverständlich in der Gesellschaft verankert und kaum jemand stellt sie in Frage. Die Männer dürfen alles, sie dürfen sich über die Frauen erheben, sie ausnutzen, egal ob beruflich, psychisch oder physisch, sie dürfen ihren Körper schamlos betrachten und betatschen und stets wird die Schuld bei den Frauen gesucht und nicht bei den eigentlichen Tätern. Das ist nicht nur in Korea so aber durch die große gesellschaftliche Diskrepanz zwischen Mann und Frau nochmal stärker zu spüren. Kim Jiyoung ist eine gewöhnliche Frau, wie es viele auf der Welt gibt. Aber sie ist auch selbstbewusst und will für sich einstehen, sie will sich nicht nur als Objekt oder Mutter sehen, sie will arbeiten, kurz: sie will Gleichberechtigung. Nam-Joo Cho schildert hier ein Leben voll von Unterdrückung und Abwertung, immer wieder belegt mit schockierenden Zahlen und Verweisen. Es ist ein Leben zwischen Berufsalltag und Familie, zwischen dem Wunsch nach dem eigenen Lebensweg und den veralteten Erwartungen der Familie. Als Leserin ist man froh, in einem anderen Land aufgewachsen zu sein und dennoch hört man auch hier viele der angesprochenen Punkte immer wieder, wenn auch in abgeminderter Form. Nam-Joo Cho hat ein allgemeingültiges Portrait der Frau geschaffen, die mit vielem alleine dasteht und von denen Mann unendliche Dankbarkeit erwartet. Dabei ist de Selbstaufgabe der Frau für andere alles andere als selbstverständlich und sollte nicht so einseitig sein. „Kannst du damit aufhören zu sagen, wobei du mich unterstützen willst? Mich unterstützen, im Haushalt, der Kindererziehung. Ist das nicht selbstverständlich? Ist das nicht auch deine Wohnung? Ist das nicht auch dein Kind? Wenn ich arbeite, kann ich ganz allein über meinen Verdienst verfügen? Warum sprichst du von Unterstützung und tust so, als wäre es eine Gunst, dass du hilfst?“ Jiyoung begehrt immer wieder auf, sie will ihren eigenen Weg gehen und scheitert doch oftmals an den Traditionen und Erwartungen anderer, denen sie nicht entfliehen kann. So fügt sie sich vermeintlich in ihr Schicksal und droht sich dabei selbst zu verlieren. Aber auch die Männer sind gefangen in diesen Traditionen und selbst die eher modernen Ansichten werden schließlich begraben durch den gesellschaftlichen Ton, der sie in den Himmel hebt. "Kim Jiyoung, geboren 1982" ist ein Buch, das jeder lesen sollte, egal ob Mann oder Frau, denn es zeigt mutige Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen, die alle Steine auf ihrem Weg überwinden und die dennoch gefangen sind. Es ist ein Buch, das zur Gleichberechtigung aufruft und das zum Nachdenken anregt, das einen berührt, erschüttert und wütend macht und die Missstände v.a. in Korea wieder mehr ins Bewusststein der Menschen ruft. Es ist eine fiktive Protagonistin aber kein fiktiver Roman, das alles passiert tagtäglich genau so.