Rezension

Stimmen aller Frauen vereinigt euch!

Kim Jiyoung, geboren 1982 -

Kim Jiyoung, geboren 1982
von Nam-joo Cho

Bewertet mit 3 Sternen

Wenig Erwartungen hatte ich an dieses Buch, dass mir über Wochen scheinbar auf allen Kanälen begegnete. Doch das Geburtsjahr auf dem Titel machte mich neugierig, denn es trennen mich nur wenige Jahre von der Titelheldin. Kim lebt in Seoul mit ihrem Mann und ihrem Kind. Den Job hat sie aufgegeben, um sich um ihr Baby zu kümmern. Alles scheint in Ordnung, doch dann stellt ihr Ehemann plötzlich merkwürdige Wesensveränderungen an Kim fest, die plötzlich in der Stimme anderer Frauen spricht.

Chon Nam-Joo erzählt exemplarisch an Kim die Lebensgeschichte koreanischer Frauen, die in einer Zweiklassengesellschaft aufwachsen. Es gelten die Männer, erst viel später kommen die Frauen und dürfen trotz besserer Ausbildung schlechtbezahlte Jobs in familienunfreundlichen Unternehmen machen und mit dem ersten Kind dann ihr Dasein als Hausfrau und Mutter fristen. Sie leben in einer Welt, in der Männer Mädchen und Frauen wie Ware, Eigentum behandeln. Als heranwachsende Mädchen sollen sie sich daran gewöhnen, mit Blicken ausgezogen, im öffentlichen Nahverkehr betatscht und auf offener Straße belästigt zu werden. Zu Hause schelten die Väter sie für ihr Verhalten und ihre aufreizende Kleidung. Sie müssen sich selbstverständlich um ihre Schwiegermütter kümmern, den Haushalt versorgen und wie in Kims Familie auch zum Lebensunterhalt beitragen, weil der Vater nicht genug für die Familie verdient. Kims Mutter hat ein Händchen für Investitionen und Unternehmungen, sie sorgt dafür, dass ihre beiden Töchter studieren können und nicht zugunsten des kleinen Bruders zurück stecken müssen. Ihr selbst blieb eine solche Ausbildung verwehrt, weil nur Geldmittel für die Brüder da waren. So scheint sich von Generation zu Generation ein vorsichtiger Fortschritt zu vollziehen und die Frauen allmählich wahrzunehmen, dass sie eine eigene Stimme haben. Doch in der modernen Metropole Koreas im 21. Jahrhundert ist es bis zur Gleichberechtigung von Mann und Frau noch ein weiter Weg. Wie ist es damit in Deutschland bestellt? Unweigerlich vergleiche ich meine eigene Lebenssituation mit der von Kim. Finde mich in Teilen wieder und bin wiederum dankbar, dass es mir in Deutschland besser erging. Doch auch wir Frauen hier müssen uns noch viel zu oft zwischen Kind und Karriere entscheiden, werden im beruflichen Umfeld benachteiligt und schlechter bezahlt. Auch wir Mädchen hängen die Jungs in der Schule bis ins Abitur hinein oft ab. Trotzdem finden in der Arbeitswelt eher die männlichen Uniabsolventen die gutbezahlten Jobs.

Natürlich ist Chon Nam-Joos Text nicht frei von Klischees. Ich kann diese nur schlecht verifizieren, weil ich aus einem anderen Kulturkreis komme, doch in jedem Klischee steckt auch ein Funken Wahrheit und so verstehe ich den Hype um dieses Buch. So plakativ wurde die strukturelle Benachteiligung von Mädchen und Frauen wohl bisher noch nicht in Worte gefasst. Ein literarisches Zeugnis und eine Aufforderung an uns Frauen, gemeinsam die Stimmen zu erheben und uns gegen die Ungleichbehandlung zur Wehr zu setzen, statt uns mit dem Status Quo zufrieden zu geben.