Rezension

Drei betagte Freunde erinnern und verwirklichen sich

Etta und Otto und Russell und James - Emma Hooper

Etta und Otto und Russell und James
von Emma Hooper

Bewertet mit 4 Sternen

Die 83jährige, demente Etta aus Saskatchewa/Kanada lässt ihren gleichaltrigen Ehemann Otto, den traumatische Erinnerungen als Soldat im Zweiten Weltkrieg nicht loslassen, zu Hause zurück und begibt sich auf einen 3232 km langen Fußmarsch, um zum ersten Mal in ihrem Leben das Meer zu sehen. Als treuer Begleiter schließt sich ihr der Kojote James an. Ettas und Ottos ebenso betagter Freund Russell, immer selbst in Etta verliebt gewesen und ein versierter Spurenleser und Hirschbeobachter, nimmt die Suche nach ihr auf, wird von Etta dann aber dazu bewogen, im Norden des Landes dort beheimatete Tiere zu beobachten. Werden die drei noch einmal zu Hause vereint sein?

Für wen Romane nicht immer streng realistisch sein müssen, wird dieses Buch mögen. Unrealistische Elemente gibt es so manche in dieser Geschichte – z.B.: eine betagte, demente Frau durchquert zu Fuß ohne großes Gepäck das weite Land, ihr Ehemann schreibt ihr Briefe, die er dann unabgeschickt auf dem Küchentisch liegen lässt, und bastelt für sie ein Heer von Pappmaché-Tieren als Willkommensgeschenk, ein Kojote kann singen und sprechen, Etta wird auf ihrer Tour wie eine Sportlerin von jubelnden Menschen begrüßt. Genau das passt aber gut zu der Thematik, die das Buch abhandeln will, nämlich das alt sein mit seinen Begleiterscheinungen wie Demenz und heimgesucht werden von bösen Lebenserinnerungen. Von Altersdemenz ist die Protagonistin Etta betroffen, wie für den Leser von Anbeginn an klar ist. Denn in Ettas Abschiedsbrief an Otto heißt es, dass sie versuchen werde, das Heimkommen nicht zu vergessen. Sie ist in der Zeit verloren und kann Wirklichkeit und Vorstellung nicht unterscheiden. Das wird in der zweiten Buchhälfte immer deutlicher und verwirrt zunächst. Dort nämlich träumt Etta manchmal, sie sei Otto und manchmal wird sie zu ihrem Ehemann. Auf jeden Fall ist ein guter Einblick in die Gedankenwelt eines an Demenz Erkrankten zu erhalten. Ferner darf es den Leser nicht stören, dass das Ende offen bzw. interpretierungsbedürftig ist.

Obwohl die Ereignisse nicht chronologisch erzählt werden – und dazu auch immer nur bruchstückhaft – und viele Zeitsprünge vorkommen – zwischen der Gegenwart, der Kindheit/Jugend der drei Freunde zwischen Weltwirtschaftskrise und Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sowie Ottos Leben als Soldat in eben diesem Krieg – leiden darunter nicht der Lesefluss und das Verständnis . Viele zwischen Etta und Otto gewechselte Briefe tragen dazu bei, den roten Faden zu behalten, der sich durch das Leben der Hauptpersonen zieht. Sprachlich ist das Buch mit kurzen Kapiteln und kurzen Sätzen der eher einfachen Struktur von Otto angepasst, der aus einer Familie mit 15 Kindern stammt und für den der Schulbesuch nachrangig gegenüber seinen häuslichen Pflichten war.

Ein ungewöhnliches Buch, das mir gerade deshalb gefällt.