Rezension

Ein Buch wie ein Wirbelsturm…

Sommer der Wahrheit - Nele Löwenberg

Sommer der Wahrheit
von Nele Löwenberg

Bewertet mit 5 Sternen

Irgendwann in unseren Teenagerjahren haben wir ihn alle erlebt – diesen einen Sommer, in dem so viel passiert ist, dass wir glaubten in wenigen Monaten fünf Jahre älter geworden zu sein. Nele Neuhaus (hier unter ihrem Mädchennamen Löwenberg) gelingt das Kunststück, diesen Sommer und dieses Gefühl des Erwachsenwerdens zurückzuholen, bis er einen wie ein Wirbelsturm aufsaugt und mit sich nimmt…

Ich kann das Lesen dieses Buches nur aus ganz persönlicher Sicht schildern und vielleicht geht es anderen Lesern nicht so – aber ich habe mich, obwohl ich mittlerweile die Dreißig schon ein ganzes Stück hinter mir gelassen habe, sofort mit Sheridan (der Hauptfigur des Romans) identifizieren können. Schließlich war ich auch mal 16 und hatte diese Aufmüpfigkeit und dieses Verändernwollen in mir. Im Laufe des Buches erfährt man jedoch die traurige Wahrheit hinter Sheridans fast unglaublicher Geschichte. Als Adoptivkind scheinbar wahllos an eine Farmerfamilie des mittleren Westens der USA vergeben, muss sie sich gegen ihre herrschsüchtige Mutter und vier Brüder behaupten. Während Sheridan eine künstlerische Ader hat und überdurchschnittlich intelligent ist, wird dies in ihrer Familie kaum wahrgenommen, geschweige denn gefördert. Es passiert, was passieren muss – Sheridan rebelliert gegen das Los, das ihr zugeteilt ist und setzt damit eine verhängnisvolle Kette von Ereignissen in Gang, die ihr Leben – und das vieler weiterer Menschen – ein für allemal verändern.

Der ganze Roman fängt die Wildheit und Entschlossenheit des unverstandenen jungen Mädchens ein, das auf einmal schneller erwachsen werden muss, als es ihr gut tut. Bei diesem Roman habe ich zum ersten Mal die unglaubliche erzählerische Klasse von Frau Neuhaus gespürt. Es passiert mir nicht oft, dass ein Buch mich – mittendrin und auch noch hinterher – so aufwühlt, dass ich das Gefühl habe, Teil der Handlung zu sein. Das ist mir hier zum ersten Mal seit ganz langer Zeit wieder so gegangen. Manchmal habe ich mich für Sheridan verantwortlich gefühlt, hätte sie gern in die richtige Richtung gelenkt oder nach einer Enttäuschung einfach nur getröstet – so wie eine ältere Schwester. Manchmal hatte ich aber auch selbst wieder das Gefühl, sechzehn zu sein und konnte ihre Denk- und Handlungsweise einfach so gut nachvollziehen, dass ich dachte „das hätte ich jetzt ganz genau so gemacht“. Ich empfinde es als absoluten Qualitätsbeweis, wenn man sich als Erwachsener, der mitten im Leben steht, dermaßen mit der weit jüngeren Figur des Buches identifizieren kann, dass man es förmlich verschlingt. Innerhalb weniger Tage hatte ich die knapp 500 Seiten gelesen und habe in wirklich jeder freien Minute das Buch in die Hand genommen.

Zwar blieben am Ende ein paar Fragen offen (die möchte ich jetzt aber auch nicht nennen, weil das zuviel über den Inhalt und den Ausgang der Geschichte offenbaren würde), aber man kann mit diesen Fragen leben… Vielleicht sind sie auch genau so gewollt, damit man sich auch nach dem Ende der Geschichte noch Gedanken darüber macht. Für mich gab es bei der Auflösung auch einen kleinen Logikfehler am Ende (bzw. es hat mich gewundert, dass meinen ersten Gedanken keine der handelnden Personen hatte und das Thema nicht vertieft worden ist), aber das ist bei weitem kein Grund, bei diesem tollen Roman einen Bewertungsstern abzuzuiehen. Deshalb: unbedingt lesen – ich bin total begeistert und es ist für mich schon jetzt eins der besten Bücher des Jahres!