Rezension

Tradition und Selbstbestimmung

Die Eismacher
von Ernest van der Kwast

Für Giuseppe Talamini, Besitzer der florierenden Eisdiele „Venezia“ in Rotterdam, grenzt es an Verrat, dass sein ältester Sohn Giovanni sich beruflich nicht für den Familienbetrieb entscheidet, sondern Karriere in der Welt der Literatur macht, als Direktor des „World Poetry Festival“. Auch er hatte als junger Mann den Wunsch, einen anderen Beruf auszuüben, beugte sich jedoch dem Diktat seines Vaters und führte die Eismacher-Tradition fort. So darf für ihn heute nur Freizeitvergnügen sein, was für Giovanni ein erfülltes Berufsleben bedeutet. Luca, der jüngere Bruder, führt das Familiengeschäft in vierter Generation allein weiter und scheint mit seiner Tätigkeit zufrieden zu sein; doch sein Arbeitspensum ist groß und der Verzicht auf frei verfügbare Zeit bitter. Giovanni, der seinem Leben eine völlig andere Richtung gibt, trägt schließlich doch noch zum Fortbestand der Eismacher bei, wenn auch auf völlig unerwartete Weise…

Sehr einfühlsam erzählt der Autor von dem Zwist, der die beiden ungleichen Brüder trennt, aber auch von der festen Beziehung, die sie trotz aller Unterschiede verbindet. Ihre Geschichte ist untrennbar verknüpft mit der Geschichte ihrer Vorfahren, mit der Tradition der Eismacher in Venas di Cadore und ihren köstlichen Rezepten. Dabei steht der Leser dem Wesen und den Gedanken des Ich-Erzählers Giovanni stets näher als anderen Charakteren.

In Zeitsprüngen schildert van der Kwast vom Beginn des Eismachens und der heutigen Zeit. Er beschreibt die ersten Versuche mit Speiseeis, die Giovannis Ururgroßvater machte, berichtet von seinem Schicksal und zieht einen weiten Bogen zum Leben der Brüder Giovanni und Luca. Die Zeitsprünge korrespondieren mit dem Leben an sich, das ja nie geradlinig verläuft, sie spiegeln das Weitergeben der Traditionen von Generation zu Generation, die Einflüsse der Vorfahren und ihre Erwartungen an ihre Nachkommen. Das Leben der Eismacher während der Saison und in der freien Zeit, im Winter in ihrer Heimat, wird lebendig und anschaulich. Dann wird Lucas Sohn Giuseppe geboren, auf den wiederum große Hoffnungen  gesetzt werden  -  die fünfte Generation  Eismacher?