Rezension

Eine bewegende Reise

Solito -

Solito
von Javier Zamora

„Reise. Vor rund einem Jahr fingen meine Eltern an, dieses Wort zu benutzen. - Eines Tages wirst du eine Reise machen um bei uns zu sein.“ 

 

Javier Zamora schildert uns in eindrucksvollen Worten seine eigene Reise - und zwar von El Salvador, wo er bis zu seinem neunten Lebensjahr bei seinen Großeltern aufwuchs und zuerst sein Vater, dann seine Mutter vor dem Bürgerkrieg, der in den 90er Jahren in El Salvador herrschte, in die USA flohen. Javier kannte seine Eltern nur aus Erzählungen, aus seinen frühen Erinnerungen und von Telefonaten. Für ihn waren sie immer diejenigen, die ihm Power Ranger Figuren und Disneyvideos schicken - sie waren eine kometenhafte Idee, der er nun folgen sollte. 

 

Seine Eltern beauftragen eine Schlepperbande, ihren Jungen quer durch Mittelamerika in die USA zu bringen. Was Javier auf dieser Reise erlebt, wird ihn emotional sein gesamtes Leben hindurch prägen. 

 

Er beginnt mit seiner Geschichte in El Salvador, der Ort, der für ihn Heimat bedeutete. Seine Abuelita, seine Großmutter, und sein Großvater und seine Tante Mali ziehen ihn groß. Diese drei Personen verwurzeln ihre Gedanken nicht nur in Javier, sondern auch im Lesenden. In mir. Ich mochte Mali, wie Javier sie liebte. Ich hatte Respekt vorm Großvater, wie er. Der Großvater, der Javier ein Stück auf seiner Reise begleitete, war für mich ein sehr starker Charakter. In der Vergangenheit hat er seine dunklen Seiten gezeigt, doch Javier vergötterte er - und sein Einfluss zog sich durch Javis gesamte Geschichte. 

 

Und schließlich Javier selbst. Der mutige kleine Junge, mit einer Vision seiner Eltern und dem Idealbild von „La USA“ vor Augen, der Mut fassen muss, um auf die Toilette zu gehen oder um Hilfe zu bitten. Aus seinen Augen wird uns ein halber Kontinent beschrieben. Für mich war es so beeindruckend, wie anschaulich er die Orte, die Landschaft, den Mond, die Kakteen beschrieb. 

 

„Ich schaute hinauf zu den Löchlein in der dunklen Decke des Himmels. Sterne glitzerten. Warum blinken sie so? Können sie die Erde unter unseren Füßen sehen? Wie alte Zeitungen. Knistern. Knirschen. Wie wenn man auf Eierschalen läuft“ Knacken.“ S.279

 

Doch genauso nahm ich bitter in mir auf, wie er den Hunger und den Durst beschreibt, den Geruch der Menschen und der Umgebung, die Erschöpfung und die Schmerzen, die Angst, die Hoffnungslosigkeit und den Zweifel. Und es machte mich so wütend. Javier kroch mir unter die Haut und ich wollte ihn am liebsten beschützend in den Arm nehmen. So liest man jedoch wie Javier von Kapitel zu Kapitel sich mehr und mehr auf die Lebensnotwendigen Dinge beschränkt. Pissen. Trinken. Schlafen. 

 

Doch das übernahmen andere für mich - nämlich die Familie, die zwar keine Blutsbande teilt, aber durch das selbe Schicksal und das selbe Streben verbunden sind. Die Foundfamily wuchs mir Seite um Seite mehr ans Herz - sie strahlte in der Hölle des Weges Mitgefühl und Wärme aus, obwohl ich mich zwischenzeitlich fragte, woher sie die Kraft für diesen kleinen fremden Jungen genommen hat. 

 

Und Javier schreibt am Ende selbst, dass niemand, der die Reise über die staubigen Straßen Mittelamerikas und den entbehrungsreichen Marsch durch die Sonora-Wüste nicht mitgemacht hat, seine Gruppe verstehen kann.

 

Dies ist ein Buch über die Reise eines kleinen Jungen, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird. Es ist kein Buch über die großen Zusammenhänge der Migrationsgeschichte zwischen Mittelamerika und den USA, geschweige denn den politischen Verflechtungen. Doch es regt zum recherchieren an.