Rezension

Betonhimmelwasserwind

Die Mauer - John Lanchester

Die Mauer
von John Lanchester

Bewertet mit 3.5 Sternen

Joseph muss wie alle erwachsenen Briten zwei Jahre auf der Mauer dienen, die Großbritannien vor der Außenwelt, den Anderen schützt. Viel gibt es hier nicht. Beton, aus dem die Mauer gefertigt ist. Himmel, der am Horizont irgendwann in Wasser übergeht. Und der unbarmherzige Wind, der jede 12stündige Schicht zur Hölle macht. Doch es gibt auch Lichtblicke: den Tee, den die Köchin Mary vorbeibringt. Die Kameradschaft zwischen den einzelnen Verteidigern. Und die Zeit, die langsam aber sicher verstreicht, bis endlich, endlich die Zeit nach der Mauer gekommen ist.

John Lanchesters Dystopie spielt in der nahen Zukunft; der Klimawandel ist endgültig da, der Meeresspiegel gestiegen, viele Landstriche deswegen oder auch wegen ungewöhnlicher Dürre nicht mehr bewohnbar. Diese Informationen fließen nur am Rande ein, der Autor muss nichts erklären, die Fakten sind jedem Erwachsenen heutzutage bewusst. Und das macht seinen Roman auch so erschreckend, denn ganz unrealistisch erscheint sein Szenario nicht. Das arbeitet am Leser, der eigentliche Fortgang der Handlung nicht so sehr, denn wirklich viel passiert nicht. Man kann sich mit Joseph gut identifizieren, er wirkt etwas haltlos im Leben und so schrecklich der Dienst auf der Mauer ist, so gibt er ihm auch eine Stütze. Die anderen Figuren bleiben blass, nur wenige können überraschen, mit keinem der Nebenfiguren wurde ich richtig warm. Sprachlich bleibt immer eine Distanz zwischen Leser und Geschehen, das zwar als „Roman der Stunde“ betitelt wird, aber doch hinter meinen Erwartungen zurückbleibt. Den nahen Brexit und die Flüchtlingsströme vor Augen, kann man natürlich einen Bezug zur Gegenwart erkennen, trotzdem bleibt Lanchesters Roman nicht aktueller oder bedrückender als andere Dystopien. Die mir dann unterm Strich doch besser gefallen haben.