Rezension

"Betonwasserwindhimmel"

Die Mauer - John Lanchester

Die Mauer
von John Lanchester

~~Die Mauer – John Lanchester

"Betonwasserwindhimmel"

Eine wahnsinnig bedrückende, gerade weil so realistische Dystopie!

Großbritannien in der Zeit nach dem (Klima-)Wandel. Jeder junge Brite muss zwei Jahre seines Lebens auf der Mauer dienen, die die Insel umgibt und vor  Eindringlingen (den Anderen) schützt. So tritt auch Kavanagh seinen Dienst an und kämpft gegen die Kälte und Monotonie an, die auf der Mauer herrschen.
Dieses Großbritannien der Zukunft agiert gnadenlos und streng gegenüber seinen Feinden, aber auch seinen Verteidigern gegenüber. Schaffen es Andere, ins Landesinnere vorzudringen, werden im Gegenzug die verantwortlichen Verteidiger auf dem Meer ausgesetzt. Die Notwendigkeit leuchtet ein. Trotzdem, die Frage stellt sich: Ist das ein Land, in dem man leben möchte? Andererseits ist es wohl das Land, das es noch am besten getroffen hat.
Für die Briten ist es der Wandel, für die Anderen das Ende (Gänsehaut!).
Kavanagh und seine Mitstreiter (eine Liebesgeschichte bahnt sich an!) sind Kinder ihrer Zeit, trotzdem sind es intelligente junge Menschen, die für sich vieles hinterfragen. Gerade das macht diesen Roman so spannend, denn wir dürfen an den Gedanken und Ängsten der Protagonisten teilhaben, auch wenn diese zum Teil nicht besonders detailliert gezeichnet sind.
"Die Alten haben das Gefühl, die Welt unwiederbringlich vor die Wand gefahren und es dann zugelassen zu haben, dass wir in sie hineingeboren wurden. Und was soll ich dir sagen? Genauso ist es." Seite 72
Interessant fand ich hier die Schuldfrage, der sich die Elterngeneration zu stellen hat (Warnung!)

Lanchester bedient sich einer teils poetischen, dennoch einfachen Sprache. Erbarmungslos zeigt er menschliche Abgründe und Ängste auf. Ein tolles, durchaus mögliches Setting. Doch der Autor macht es sich hier keineswegs an der Oberfläche gemütlich, sondern er gräbt tief und deckt nach und nach die Hintergründe auf, wie es zum "Wandel" kam, warum die "Mauer" erbaut wurde.
Was soll ich sagen, ein leider sehr vorstellbares Zukunftsszenario. Bedrückend. Erschreckend.

Der Autor hat hier sehr aktuelle Probleme verarbeitet, wie etwa die Flüchtlingsströme, Angst vor Überfremdung und was diese Angst mit einer Gesellschaft macht. Andererseits kam mir beim Lesen auch immer wieder die deutsche Vergangenheit in den Sinn. Die Verteidigung einer Mauer weckte besondere Assoziationen, ebenso wie die Schuldfrage einer ganzen Generation (Holocaust).

Lanchesters Intention zu diesem Roman ist m.E. die Warnung vor dem Klimawandel. Er zeichnet eine mögliche Zukunft nach dem Klimawandel und es geht ihm darum zu warnen, dass unsere Generation von allen folgenden dafür verantwortlich gemacht werden dürfte, was nun versäumt wird. Dass er den Brexit thematisiert, kann ich persönlich so nicht sehen. Klar, Großbritannien ist vom restlichen Europa abgeschlossen, der Grund dafür ist aber ein geografischer, weniger ein politischer. Da wird für mich zu viel hineininterpretiert.

Auch möchte ich darauf hinweisen, dass diese Geschichte in drei Teile gegliedert ist. Der literarisch und inhaltlich wertvollste und stärkste Teil ist meiner Meinung nach tatsächlich der erste. Besonders der dritte Abschnitt erinnert an eine Abenteuergeschichte, wobei ich auch solche gerne mag.
Ich habe dieses Buch regelrecht verschlungen und spreche eine klare Leseempfehlung aus!