Rezension

faszinierend und erschreckend, geht unter die Haut

Die Mauer - John Lanchester

Die Mauer
von John Lanchester

Bewertet mit 4.5 Sternen

Für mich war "Die Mauer" ein außergewöhnlicher Roman, der mich eine ganze Weile beschäftigt hat. Dystopische Szenarien sind mir geläufig, die Thematik schreckt und fasziniert mich gleichermaßen, so dass ich gern darüber lese. Doch diese Geschichte ist mir besonders unter die Haut gegangen. Zum einen weil vieles so plausibel wirkt und bereits jetzt in unserer Gesellschaft zu spüren ist, wie z.B. die Abschottung gegen „ Andere“ , sowie die Skrupellosigkeit und Gier, mit der knapper werdende Resourcen beansprucht werden ohne Rücksicht auf Verluste. Es ist zu befürchten, dass der Kampf ums Überleben in unserer sich zunehmend verändernden Welt ähnlich brutal geführt werden könnte wie hier. Zum größten Teil aber wegen der ungewöhnlichen Erzählweise, die mich, obwohl insgesamt eher nüchtern, begeistern konnte mit ihren philosophischen Momenten und den atmosphärisch ungeheuer eindringlichen Beschreibungen. Verblüffende Wendungen, dramatische Ereignisse und tatsächlich auch eine vorsichtig zarte Liebesgeschichte halten den Spannungsbogen oben, unterbrechen die gelegentlich aufblitzende, sicher so beabsichtigte Monotonie, kurz bevor es monoton wird *g*.

Zum Inhalt möchte ich nichts weiter sagen, weil ich es gerade spannend fand, eben nicht zu wissen, wo es hingehen wird. Die Kurzbeschreibung hält sich hier schon sehr bedeckt, mit Recht, wie ich finde.

„Kälte“ dominiert die ersten Seiten auf eine sprachlich geniale Weise, fühlt sich aber auch ein wenig befremdlich an und ist ein zwar interessanter, aber nicht unbedingt mitreißender Einstieg „Kälte ist Kälte ist Kälte“…

Joseph Kavanaugh, der junge Mann, aus dessen Perspektive erzählt wird, beginnt seinen Dienst auf der Mauer, eine Art zweijähriger Wehrpflicht, denn:„In Großbritannien gilt das Gesetz des Stärkeren. Das Land ist von einer hohen Mauer umgeben, die von den Bewohnern um jeden Preis gegen Eindringlinge verteidigt wird.“
Kavanaughs Weg mitzugehen, seinen Blick auf diese Welt, seine Frustration und seine Hoffnungen zu teilen und die Entwicklung seiner Persönlichkeit mitzuerleben, hat mich nach anfänglicher Distanz zunehmend fasziniert und an dieses Buch gefesselt.

John Lanchester kenne ich aus seinem Roman Kapital als großartigen Erzähler, und die Art und Weise, wie er dieses beklemmende Thema anpackt und darstellt, bestätigt diesen Eindruck. Ich bin gespannt auf sein nächstes Werk.