Rezension

Bewegendes Schicksal

Alles, was ich bin - Anna Funder

Alles, was ich bin
von Anna Funder

Bewertet mit 5 Sternen

~~Anna Funders "Alles was ich bin" ist eins der wunderbaren Bücher, die man anfangs mit Interesse liest und mit zunehmender Lektüre mehr und mehr schätzt und zum Schluss mit großem Bedauern aus der Hand legt. Es ist eine ganz großartige fiktionalisierte Biographie über eine Gruppe von Menschen, die zu Beginn von Hitlers Machtübernahme Widerstand leistete und deren Leben dadurch zerbrochen ist.

Wie gesagt stand zu Beginn das Interesse an diesen Menschen im Vordergrund. Vor vielen Jahren hatte mich die Autobiographie Ernst Tollers, eines der Porträtierten, sehr ergriffen. Seine Schilderungen des ersten Weltkrieges haben mich auch beim Wiederlesen sehr erschüttert. Aus dieser traumatischen Erfahrung ist bei ihm, wie bei vielen anderen anfänglich kriegsbegeisterten Intellektuellen die Wunsch und unbedingte Wille entstanden, weitere Kriege unbedingt zu verhindern, die Gesellschaft gerechter und freiheitlicher zu gestalten. Er spielte 1919 in der Münchner Räterepublik eine bedeutende Rolle und entkam nur knapp der Hinrichtung. Es ist für mich ein völliges Rätsel, dass sein Name genau wie der vieler Weggenossen, in Deutschland kaum bekannt ist. Klar ist, dass er in absoluter Opposition zu den Nationalsozialisten stand, die seine Werke später auch verboten und verbrannten. Zur Zeit der Machtübernahme befand er sich bereits im Ausland, zu dem auch viele seiner Parteigenossen der USPD Zuflucht nehmen mussten. Zwei davon sind Ruth Blatt, hier im Buch als Ruth Becker eine der Erzählerinnen und ihre Cousine Dora, beide auch in London, ihrem Exilort sehr engagiert im Kampf gegen Hitlers Diktatur.

Ihr Leben und Wirken in London wird nun hier rückblickend und wechselseitig aus zwei Perspektiven und von zwei Zeitebenen heraus erzählt. Einmal ist es die mittlerweile 95jährige Ruth, die durch die an sie geschickte Hinterlassenschaft Ernst Tollers ins Erinnern kommt, einmal ist es Ernst Toller, der 1939 beim Verfassen dieser Aufzeichnungen auf die dramatischen Ereignisse im London der Jahre 1934/35 zurückblickt, die Dora das Leben kosteten. Erschütternd wird deutlich, wie lang der Arm des Terrorregimes auch ins Ausland war, wie erbittert die Feinde des "Reichs" auch hier bekämpft wurden, wie Misstrauen und Verrat schließlich das Leben aller, auch nach der Flucht ins Exil, zerstört hat. Toller war einer der Vielen, die auch in der vermeintlichen Sicherheit ihr Leben durch eigene Hand beendet haben. Ruth gelingt nach einem Gefängnisaufenthalt in letzter Minute die Ausreise nach Shanghai und der Neubeginn in Australien. Hier steuert sie hochbetagt einen wunderbar ruppigen, eigenwilligen Kommentar zum Alter bei und war Anna Funder Gesprächspartnerin. "I have always been contrary" sagt sie da über sich und Anna Funder legt ihr im Buch die Worte in den Mund ".... es eine der schwersten Aufgaben ist, das eigene Gewicht in der Welt zu bestimmen, alles, was ich bin, auf einen Nenner zu bringen und zu bewerten." Anna Funder ist es beeindruckend gelungen, diesem Leben den Platz zu geben, der ihm gebührt. Sie schreibt nüchtern, aber ergreifend, detailreich, aber spannend. Ihre intensive Recherche hat sie im Anhang dargelegt. Wie viel im Roman Fiktion oder Rekonstruktion ist, bleibt offen. Mich hat dieses Buch restlos überzeugt.

Kommentare

Britta Röder kommentierte am 16. März 2014 um 19:25

Die Rezensentin ist restlos überzeugt. Ich bin restlos überzeugt von dieser Rezi. Schöner Lese-Tipp.