Rezension

*+* Der kleine Prinz im Wandel der Zeit *+*

Bäume reisen nachts - Aude Le Corff

Bäume reisen nachts
von Aude Le Corff

*+* Die Originalversion , mit Links und  bebildert, dieser Rezension ist auf meinem Bücherblog zu finden: http://irveliest.wordpress.com/2014/04/08/aude-le-corff-baume-reisen-nachts/ *+*
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Inhalt

Seit Monaten verbringt die achtjährige Manon ihre Nachmittage allein, unter einer riesigen Birke im Garten. Sie verschlingt ein Buch nach dem anderen und spricht mit Ameisen und Katzen, nur um an eines nicht denken zu müssen: das spurlose Verschwinden ihrer Mutter. Mit dem eigenen Kummer beschäftigt, vermögen Manons Vater Pierre und ihre Tante Sophie das stille Mädchen nicht zu trösten. Doch Manons Einsamkeit erweicht das Herz des mürrischen Nachbarn Anatole, der, seitdem er nicht mehr unterrichtet, sich von Kindern möglichst fernhält. Sie beginnen, gemeinsam den Kleinen Prinzen zu lesen, und es erwächst eine außergewöhnliche Freundschaft. Als eines Tages überraschend Briefe der Mutter eintreffen, schmieden das Mädchen und der alte Mann einen kühnen Plan, der sie gemeinsam mit Pierre und Sophie auf eine abenteuerliche Reise quer durch Europa führt …

Bäume  reisen  nachts ist ein herzzerreißend schöner Roman über die Freundschaft ungleicher Menschen, über eine Familie, die sich neu erfindet, und den Mut eines kleinen Mädchens, Träume in Wirklichkeit zu verwandeln. (Quelle: Suhrkamp/ Insel-Verlag)

Das Cover:
Es lädt ein zum Träumen. Das Cover ist aus Scherenschnitt-Motiven gebildet. Ein Mann und eine Frau stehen glücklich zusammen, ein Mädchen ist bei ihnen und spielt im Gras. Eine Katze komplettiert das Ensemble. Über dieser Gruppe sind drei Birkenblätter zu sehen, die den Titel des Romans tragen, zwei schwarze, die noch am Zweig hängen und ein rotes, welches sich bereits gelöst hat. Die Stimmung, die die Personen verbreiten wirkt so leicht auf mich und glücklich, unbefangen....
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Meine Meinung:
…..und als ich dann mit dem Lesen begann, fühlte ich mich lange Zeit wie im falschen Film.
Denn es startete alles andere als unbekümmert und fröhlich.
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Aude le Corff konfrontierte mich in zunehmendem Maße mit
.einem Mann, der nicht loslassen kann
.einem in sich gekehrten Mädchen, das sich in eine eigene Welt flüchtet
.einem alten Mann, der spürt, dass das Leben doch mehr zu bieten hat als seinen alten Fernseh-Sessel
. und einer Frau, die nicht nur auf den ersten Blick sehr merkwürdig und anders zu sein scheint

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Diese Personenkonstellation konnte überhaupt erst entstehen, weil die Mutter des Mädchens Manon plötzlich verschwand. Sonst ist die Flucht von Zuhause eher die Sache von Jugendlichen, hier war es die Mutter, die ihre Familie verließ.
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Und da stehe ich vor einem Rätsel. Schon allein ihren Mann zu verlassen, der ihr nie in irgendeiner Form weh tat, konnte ich nicht verstehen. Aber wie man seine kleine Tochter, die man ja über alles liebt und die heftigst zurückliebt, verlassen kann, einfach so, ohne ein Wort, das ließ mir als Mutter das Herz brechen. Automatisch drückte ich dieser Frau den Stempel „Egoismus pur“ auf.
Einerseits war ich schrecklich wütend auf diese Frau, andererseits hatte ich das Cover noch im Kopf, welches doch überhaupt nicht nach Trennung und Verzweiflung aussah. In mir keimte die Hoffnung, dass doch alles wieder gut werden möge.
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Jedoch erzählt dieses Buch nicht nur die Probleme, die durch das Verschwinden der Frau bei Manon und ihrem Vater entstanden sind. Er hatte von mir übrigens den Stempel des „nicht loslassen Könnens“ aufgedrückt bekommen, allerdings völlig wertungsfrei.
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Der alte Mann, Anatole, ist ein Nachbar der Familie. Längst dem Rententrott verfallen, hat er sich mit all seinen Wehwehchen abgefunden und erwartet nicht mehr viel vom Leben. Bis er auf Manon aufmerksam wird, die als Ort des Trostes die große Birke auf der Wiese im Hof auserkoren hat. Anatole spürt, dass auf ihn doch noch mehr warten könnte als der tägliche Gang zum Bäcker. Mein Stempel für ihn: „Hoffnungsträger“
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Sophie, die letzte Person im Bunde, sorgte bei mir durch ihre Vorgeschichte am meisten für Verwunderung. Sie wird von der Autorin in einer Tabuzone platziert und es liegt am Leser selbst, wie er damit umgeht. Mein Stempel: „Äußerst rätselhaft“
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Ich möchte jetzt nicht verraten wie dieser Roman endet, ob es wirklich ein Happy-End gibt wie das Cover suggeriert oder ob dies nur der Wunschtraum der verlassenen Familie ist. Dann würde ich zu viel vorweg nehmen von diesem sehr eigenwilligen Roman.
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Einerseits ist das Thema schon recht interessant, denn dass Elternteile – aus welchen Gründen auch immer – ihre Familien verlassen, kommt leider vor. Andererseits verwirrt mich die inhaltliche Umsetzung. Denn plötzlich stehen nicht mehr die drei direkt Betroffenen im Mittelpunkt, sondern Sophie, die Schwester der verschwundenen Frau.
Wie verwoben alles doch miteinander ist!
Ich verstand schon die Zusammenhänge, die sich mir auftaten, begriff wie alle und alles miteinander zusammenhingen. Die Wechselwirkung des Handelns eines einzelnen zentrifugal auf andere.

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Mir gefiel diese versteckte Aussage ebenso gut wie der rote Faden. Denn dieser war nichts geringeres als die Geschichte „Der kleine Prinz“ von Antoine....
Sehr stark angelehnt an dieses Märchen ist der Roman von Le Corff. Mal sah ich die Parallelen sehr deutlich, mal erahnte ich sie nur.
Auch das Ende, von vielen Lesern als zu kurz und/ oder zu kitschig abgetan, hat mir sehr gut gefallen. Denn es zeigt – ebenso wie Sophies Schicksal - sehr wohl, dass kaum etwas im Leben in Stein gemeißelt ist und dass ein Einschreiten oder eine Läuterung immer möglich ist, wenn man nur bereit dazu ist.
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Was mir nicht so gut gefallen hat, sind die Längen im Mittelteil des Buches. Auch habe ich das Problem, das Sophie umtreibt, als zu ausgebreitet empfunden. Es spielt zwar eine Rolle, um das Verhältnis der Schwestern zu verstehen, hätte aber in abgespeckter Form denselben Effekt gehabt.
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Mein Fazit:
Eine modern Version des kleinen Prinzen. Sehr eigenwillig umgesetzt, ich vergebe 4 von 5 Sternen.

Infos zum Buch:
„Bäume reisen nachts“ von Aude le Corff ist im März 2014 unter der ISBN-Nr. 978-3-458-36019-3 bei Suhrkamp/ Insel erschiene. Es umfasst 201 Seiten und ist auch als eBook erhältlich.