Rezension

Gefühlvoller Roman über eine weite Reise voll banger Hoffnung

Bäume reisen nachts - Aude Le Corff

Bäume reisen nachts
von Aude Le Corff

Bewertet mit 3 Sternen

Seit ihre Mutter Anais plötzlich verschwunden ist, ist im Leben der achtjährigen Manon nichts mehr, wie es war. Ihr Vater Pierre betäubt seinen Schmerz mit Alkohol, und auch ihre Tante Sophie vermag es nicht, Manon zu trösten. Tag für Tag sitzt Manon daher unter der Birke im Vorgarten, ihre einzigen Freunde sind Katzen, Ameisen und Bücher. So wird der ehemalige Französischlehrer Anatole auf sie aufmerksam. Er beginnt, mit ihr den „Kleinen Prinzen“ zu lesen und wird für Manon zu einer wichtigen Bezugsperson. Dann treffen nach Monaten der Ungewissheit Briefe von Anais ein – aus Marokko! Manon, Pierre, Anatole und Sophie brechen auf, um Anais zu finden…

Das Cover ist schwarz-weiß gehalten mit wenigen roten Akzenten, die das Auge des Lesers auf sich ziehen. Vor allem die großen Blätter, auf denen der Buchtitel steht, stechen hervor und gefallen mir. Etwas kleiner sind die Silhouetten dreier Personen abgebildet, die Manon, ihrem Vater Pierre und ihrer Tante Sophie gehören könnten. Auf der Rückseite des Buchs findet man eine vierte Silhouette, die dem Rentner Anatole gehören könnte, der im Laufe der Geschichte in das Leben der Familie tritt.

Zu Beginn des Buches lernt der Leser Manon kennen. Sie vermisst ihre Mutter sehr und hat sich daher selbst an Neurosen grenzende Verhaltensvorschriften gemacht, denn sie ist der Überzeugung, dass ihre Mutter zurückkommt, wenn sie selbst diese Vorschriften einhält. Von den Menschen in ihrem Umfeld hat sie sich zurückgezogen, da ihr Vater und ihre Tante unfähig sind, sie zu trösten. Manons Geschichte weckte schnell mein Mitgefühl und ich hoffte sehr, dass das kleine Mädchen ihre Lebensfreude wiederfindet.

Einen Schritt in diese Richtung stellt das Kennenlernen mit Anatole da. Ihm gelingt es, sie aus ihrer Lethargie zu reißen. Der „Kleine Prinz“ kann Manon begeistern und während der ganzen Geschichte wird über Situationen aus dem Buch hingewiesen oder diskutiert. Pierre und Sophie spielen zunächst nur eine Nebenrolle. Auf ihrer Reise nach Marokko lernt der Leser aber auch diese beiden näher kennen und erhält Einblick in ihre Gefühle.

Die Stärke dieses Buches liegt klar in der Beschreibung der Charaktere. Als Leser lernt man jeden der vier Charaktere sehr gut kennen und erhält ausführliche Einblicke in ihre Gedanken und Gefühle. Die eigentliche Handlung ist dafür sehr ruhig und wenig ereignisreich. Leider etwas zu ruhig für meinen Geschmack. Viele Szenen haben sich für mich sehr in die Länge gezogen. Vor allem bei Sophies Geschichte habe ich nicht ganz verstanden, was diese mit dem restlichen Geschehen zu tun hatte. Wollte die Autorin Sophie nicht ohne ihr eigenes Geheimnis auf die Reise schicken? Auch die kulturellen Erlebnisse, die geschildert werden, machten auf mich oftmals den Eindruck, als hätte die Autoren die Seiten füllen wollen. Insgesamt ist die Geschichte jedoch rund und in sich abgeschlossen, sodass ich es mit einem zufriedenen Gefühl beenden konnte.

„Bäume reisen nachts“ erzählt in leisen Tönen von einer Reise, die alle vier Charaktere prägen wird. Der Leser erhält einen umfassenden Einblick in Gedanken und Gefühle eines jeden einzelnen. Die Handlung hat sich für mich aber vor allem im Mittelteil in die Länge gezogen. Wer auf der Suche nach einer ruhigen, nachdenklich stimmenden Geschichte ist, für den könnte dieses Buch etwas sein.