Rezension

Ein Mord verjährt nie

Der letzte Pilger
von Gard Sveen

Bewertet mit 4.5 Sternen

Kommissar Tommy Bergmann ist ein Wrack. Anfang vierzig, von Freundin Hege nach zwölf Jahren verlassen, weil er sie mehrfach verprügelt hatte, weiß nur eines ganz genau: Finger weg von Beziehungen. Geblieben ist ihm seine Arbeit. Als er zu einem abgelegenen Waldstück gerufen wird, in dem die Überreste dreier Leichen gefunden worden sind, wird schnell klar, dass das Verbrechen vor etwa sechzig Jahren begangen worden sein muss. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, noch einen Täter zu ermitteln, gering scheint, will Bergmann wissen, wer die Toten, zwei Frauen und ein Kind, waren. Die Spur führt ihn ins Jahr 1942. Als dann nur wenige Tage später der Widerstandskämpfer Carl Oscar Krogh auf grausamste Weise niedergemetzelt wird, glaubt zunächst nur Tommy Bergmann an einen direkten Zusammenhang der beiden Fälle.

Gard Sveen erzählt seinen Roman auf zwei verschiedenen Zeitebenen. Tommy Bergmann ermittelt, meist im Alleingang, im Juni 2003 in Norwegen, Schweden und Deutschland. Zielstrebig und scheinbar unaufhaltsam ermittelt er mit stoischer Ruhe vor sich hin. Sein Vorgesetzter scheint nur beteiligt zu sein, um ihm den Rücken frei zu halten. Was nach trögem Einerlei klingt, bringt die nötige Ruhe in die Geschichte.

Weitaus komplizierter nämlich entwickeln sich die Zusammenhänge auf der zweiten Zeitschiene. Hier wird zunächst ein Teil der Handlung aus dem Jahr 1945 erzählt, bevor der Autor den Leser ins Jahr 1939 eintauchen lässt. Die zentrale Figur hier ist Agnes. „Agnes lehnte sich zurück und schloss die Augen, während der Gehilfe ihr die Haare eindrehte. Oder wurde sie selbst langsam verrückt? Niemand um sie herum schien sich in diesen Kriegsjahren seinen Verstand bewahrt zu haben. Ihre Schwester war nicht nur ein glühendes Mitglied der Nazipartei, sondern hatte auch noch einen deutschen Unteroffizier geheiratet und sich freiwillig als Frontschwester gemeldet. Jetzt befand sie sich irgendwo in der russischen Steppe. Agnes hatte sich beinahe übergeben müssen, als sie davon erfuhr. Andererseits verschaffte ihr das ein perfektes Alibi. Ihre Mutter und ihre Schwester waren die fanatischsten Nazis, die man sich nur vorstellen konnte. Agnes musste beinahe darüber lachen, dass ihr der Wahnsinn ihrer Familie mit einem Mal so nützlich war.“ Für den Widerstand Norwegens tätig spioniert sie bald die deutsche Besatzungsmacht aus. Für die Sache verlobt mit einem deutschen Industriellen, liiert aber mit Carl Oscar Krogh, dem Pilger, gerät Agnes in einen lebensgefährlich Strudel von Ereignissen, denn nicht alle kämpfen auf der Seite, auf der sie zu stehen scheinen.

„Der letzte Pilger“ hat mich von der ersten Seite an begeistert. Besonders die Geschehnisse während des zweiten Weltkrieges waren so geschickt konstruiert, dass sich die Zusammenhänge immer wieder verschoben haben und dennoch völlig logisch erschienen. „Im Krieg geht es immer nur darum. … Ist er erst ausgebrochen, gibt es nichts anderes als den Kampf ums Überleben.“ Gard Sveen richtet nicht über Schuld und Unschuld, teilt seine Protagonisten nicht in gut und böse ein. Eine Beurteilung bleibt dem Leser ganz allein überlassen. Da freue ich mich auf mehr!