Rezension

Einfach nur gut!

Der letzte Pilger
von Gard Sveen

Ein Pageturner vom Feinsten! Ungewöhnlich und erfrischend lässt Sveen endlich frischen Wind durch den Skandinavienkrimi wehen und löst so die alte Schablone dieses Genres ab.

Eins dürfte dem Leser bei Sveens Debüt schon nach den ersten Kapiteln auffallen: Er hat es sicher nicht mit leichter Kost zu tun. Wer sich beim Lesen lieber entspannt zurücklegen und das Hirn gänzlich in den Standby-Modus schalten will, der lege dieses Buch nur schnell wieder weg, es wird das Falsche für ihn sein! Die Handlung ist vielschichtig, Personen, Orte und Zeiten ändern sich ständig.

Hauptsächlich muss sich der Leser in zwei Handlungssträngen zurechtfinden: der Gegenwart rund um die Ermittlerfigur des Tommy Bergmann sowie der Zeit um den Zweiten Weltkrieg, als die Deutschen bereits Norwegen besetzten und die junge Agnes Gerner ein Doppelleben als Widerstandskämpferin führte. Dabei versteht es der Autor, beide Teile kunstvoll miteinander zu verstricken. So wird beispielsweise ein toter Hund zum "match cut", der beide Erzählstränge miteinander verbindet, sodass der Leser nicht gänzlich die Orientierung verliert.

Ungewöhnlich dürfte ihm auch die Figur des Ermittlers selbst vorkommen. Jeder kennt die zerrüttete, melancholische, selbstzerstörerische Ermittlerfigur, deren Familie am Job zerbrochen ist, den man nur zu schnell bemitleidet und sympathisch findet, stellt er doch das Wohl Vieler über sein eigenes und jagt lieber Verbrecher statt sich um die innerfamiliären Probleme zu kümmern. Aber Hallo! Hier überrascht Sveen mit einem richtigen Antihelden. Zwar ist auch dieser ein einsamer Wolf, dessen letzte Beziehung in die Brüche gegangen ist – ganz ohne Klischee geht's nicht –, aber nicht etwa wegen seiner unheilsamen Selbstlosigkeit, nein, Tommy Bergmann vermöbelt Frauen, und das nicht zu knapp! Es bleibt also unbequem, der Leser wird dazu verdonnert, einer Figur zu folgen, die er viel lieber auf's Tiefste verabscheuen würde.

Und Sveen bricht mit einer weiteren "Tradition" der Skandinavienkrimis. Er verzichtet gänzlich auf die Konzeption eines Lehrstücks rund um einen aktuellen gesellschaftlichen Konflikt des Landes. Der Autor kommt gänzlich ohne erhobenen Zeigefinger aus. Ganz im Gegenteil, anhand der Figur der Agnes Gerner, die sich als geheime Informantin bei den Nazis einschleusen ließ, kreiert er eine unvergleichliche Atmosphäre, die durchtränkt ist vom Horror und der Greueltaten der damaligen Zeit, ohne auch nur einmal wörtlich darauf zu verweisen. Immer tiefer treibt er seine weibliche Protagonistin in ihr Doppelleben und lässt so die Szenerie – beinahe wie von selbst – ihren ganz eigenen Horror entfalten.