Rezension

Ein Vermächtnis an uns alle

Die Fliedertochter - Teresa Simon

Die Fliedertochter
von Teresa Simon

Bewertet mit 5 Sternen

Das ist das erste Buch von Teresa Simon, das zu mir gefunden hat. Es wird sicher nicht das letzte sein. Mir gefällt es sehr, wie gefühlvoll die Autorin schreibt und wie sie ihre Heimatstadt Wien mit „Der Fliedertochter“ in den geschichtlichen Kontext stellte.

In zwei Handlungsebenen, ab 1936 bis 1944 und in der Gegenwart, mit zwei weiblichen Hauptpersonen und in zwei Hauptstädten (Berlin und Wien) wird der Leser durch eine bewegende Familiengeschichte geführt.

„Die Fliedertochter“ beginnt in einem Prolog mit der jungen Paulina, die als 11 jährige im Zimmer des verstorbenen Vaters einen Brief findet, den sie noch nicht ganz versteht und nicht einordnen kann. Die Mutter Simone vertröstet sie auf später.

Darauf sind wir im Berlin der Gegenwart. Paulina Wilke wird von ihrer mütterlichen Freundin Antonia (genannt Toni) gebeten nach Wien zu reisen, da sie im Moment gesundheitlich nicht dazu in der Lage ist. Es geht um ein Vermächtnis, das Toni antreten soll. Bei dem Erbe handelt es sich um ein altes Tagebuch.

Ich tauchte als Leser gemeinsam mit Paulina, genauso fasziniert wie sie, in das Leben der jungen Soubrette Luzie Kühn ein. Die Aufzeichnungen beginnen 1936 als die aufstrebende, attraktive Künstlerin vor den Nachstellungen eines gewissen Josef Goebbels Schutz sucht, Berlin verläßt und zu Verwandten nach Wien zieht. Die Gefahr wurde für Luzie als „Halbjüdin zu groß. Doch wie es sich bald zeigen sollte, erreicht der braune Terror auch Wien. Durch die Tagebucheinträge von Luzie konnte ich die schlimmen Zeiten anschaulich nachvollziehen, die mich mehrmals fassungslos machten. Sie „schreibt an gegen das seelische Sterben“ aus einem Wien, wo gedemütigt, getreten, geschlagen, getötet wird. Es ist bewundernswert, wie sich Luzie Kühn immer wieder berappelt und trotz Tragödien ihre Lebenslust nicht verliert.

Sehr geschickt wurden die Schicksale der Frauen in den verschiedenen Zeiten verwoben.

Durch die eindrucksvolle Darstellung der schicksalhaften Ereignisse um Luzie und der daraus erfolgenden Recherche der Örtlichkeiten durch Paulina, bekommen die Schönheiten von Wien nochmals eine besondere Ausstrahlung. Hauptrollen spielen in dem Roman noch eine Schneekugel und der „Halbbruder“ Peter von Luzie. Eine wunderschöne, berührende Szene, die den Bogen zum Titel des Romans schlägt, ist das Treffen aller Beteiligten zum Schluß am Mozartgrab zur vollen Fliederblüte

Ich kann dieses Buch trotz einiger Längen (der dritte Erzählstrang: Paulinas Mutter Simone auf dem Pilgerweg in Italien) nur empfehlen. Es ist ein geschichtlicher Abriß des dunkelsten Kapitels unserer Vergangenheit, berührend, sehr feinfühlig erzählt.

Sehr schön finde ich die Beigabe einiger typischen Rezepte wie Sachertorte (süß) oder Wiener Schnitzel (pikant).