Rezension

Eine melancholisch aber leichte Erzählung

Agathe
von Anne Cathrine Bomann

Bewertet mit 4 Sternen

Die unsicheren Konstanten der Einsamkeit

„Doch wie ich hier so saß, hatte ich nicht die leiseste Ahnung, woraus dieses Leben bestehen sollte. Waren nicht Angst und Einsamkeit die einzigen Konstanten, derer ich mir sicher sein konnte?“

 

Inhalt

 

Mit 72 Jahren begibt sich ein alternder Psychiater auf seinen persönlichen Abschiedsweg aus dem Berufsleben. Er hat sich eine Frist gesetzt, wie viele Gespräche er vor Beginn seines Ruhestands noch führen wird, um dann endgültig die Türen seiner Praxis zu schließen. Fortan zählt er rückwärts und findet die einzige Motivation für den Tag in der immer kleiner werdenden Zahl seiner Verpflichtungen. Die neue Patientin Agathe, eine manisch-depressive Person, die sich bereits jahrelang in psychiatrischer Behandlung befindet, kommt ihm dabei irgendwie in die Quere. Nicht nur, dass sie es schafft sich in seinen Terminkalender zu schmuggeln, obwohl er niemanden mehr aufnehmen wollte, nein, sie ist auch die Einzige, die ihn nach vielen Jahren wieder in seiner Lethargie erschüttert und bei der endlich einmal wieder das Gefühl verspürt, nicht nur ihre Krankheit zu lindern sondern auch Zutritt zu ihrer Seele zu bekommen. Ihre Denkanstöße gehen aber weit über sein normales Praxisniveau hinaus, besonders weil sie ihm zeigt, wie leer und einsam sein Leben ist, wie aufgesetzt seine Freude über den anstehenden Pensionsbeginn, hat er doch dann so gar keine Aufgabe mehr und kann sich tagein tagaus mit seinem immer älter werdenden Körper beschäftigen. Der Psychiater kommt ins straucheln und beginnt, sich neu zu erfinden, denn Agathe hat den Nagel auf den Kopf getroffen – was bleibt ihm denn, außer Einsamkeit und Verdruss?

 

Meinung

 

Aufmerksam geworden bin ich auf dieses kleine feine Buch, weil mich die Geschichte an sich sehr angesprochen hat. Allein die Frage auf dem Klappentext, ob es jemals zu spät ist, um Nähe zuzulassen, impliziert einen emotionalen, tiefgründigen Text, der sich auf Zwischenmenschlichkeit und Lebensführung beruft, vielleicht auch auf verpasste Chancen und Neuanfänge. Ein psychologisches, universelles Thema, zu dem man sicher auch eigene Erfahrungswerte beisteuern kann.

 

Die Autorin Anne Cathrine Bomann arbeitet selbst als Psychologin, was dem Text vielleicht auch diese ganz persönliche Handschrift verleiht. Einerseits ein leichtes, lockeres Buch, basierend auf mehreren Gesprächsführungen ohne viel Nebenhandlungen. Doch dann wieder ein sehr traurig wirkender, melancholischer Monolog, bei dem sich der Hauptprotagonist immer mehr mit seinen Fehlern und Verfehlungen konfrontiert sieht, die ihm zwar durchaus geläufig sind, denen er aber erst jetzt, in Gegenwart seiner Patientin Agathe eine Bedeutung beimisst. Das Augenmerk liegt dabei eindeutig auf der Bewusstseinsfindung, ausgelöst durch eine fremde, anscheinend besondere Person, die ohne speziellen Willen und ein zielgerichtetes Vorhaben Veränderungen hervorruft, die es dem Hauptcharakter des Buches ermöglichen über seinen Schatten zu springen. Und so schafft der Roman beides: er bildet ein auf Einsamkeit ausgerichtetes Menschenleben ab, welches offensichtlich funktioniert aber keine Sinnhaftigkeit besitzt und er setzt diesem ein gestörtes, krankhaftes Bild entgegen, dem es zwar nicht an Erkenntnis mangelt, dafür aber an Freude. Zwei Personen treffen aufeinander, die sich gegenseitig beeinflussen können und das nach anfänglichen Zweifeln auch tun.

 

So einfühlsam und schön der Text aber auch geschrieben ist, mir fehlt dennoch ein bisschen Hintergrund. Das liegt vielleicht auch daran, das die Namensgeberin des Buches für mich eine sehr schemenhafte, blasse Gestalt geblieben ist, so dass ich nicht restlos nachvollziehen kann, wie es ihr gelingen konnte, den Psychiater (der leider ohne Namen bleibt) so wachzurütteln. Auch die Gedankengänge und die folgenden Handlungern erscheinen mir etwas unpassend vielleicht auch aufgesetzt. Denn die Erkenntnis, das Einsamkeit die Zukunft sein soll, bewegt den Herrn Doktor nun Kuchen für den Nachbarn zu backen und sich ans Sterbebett von Bekannten zu setzen – gut vielleicht ein Anfang, doch hatte ich nicht das Gefühl, das sein anfängliches negatives Weltbild nun wirklich einen positiven Wandel durchlaufen hat. Möglicherweise liegt auch in dem offenen Ende die Schönheit dieser Erzählung, bei der noch alles möglich scheint und nichts beendet – nur vermisse ich an dieser Stelle ein klares Schlusswort.

 

Fazit

 

Ich vergebe 4 Lesesterne für einen ansprechenden Roman mit einer sympathischen Geschichte. Ein guter Mix aus Unterhaltungsliteratur und anspruchsvollen Gedankengängen, die dem Leser aber selbst überlassen bleiben. Manchmal war mir der Inhalt zu seicht, dann wieder zu pessimistisch aber vor allem fehlt mir die Bedeutungsschwere, die ich zu Beginn erwartet habe. Für mich ist es eher ein leichtes Wachrütteln bezüglich der Möglichkeit, hin und wieder den Lebensweg zu überprüfen, damit man nicht irgendwann vor verpassten Chancen und endlosen Weiten steht und im Hintergrund die ablaufende Zeit wahrnimmt. Eine Hommage an das Motto: Nutze den Tag und die Menschen, die dir begegnen, um glücklich zu werden.