Rezension

Ich gebe John Green 4,5 Sterne

Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?
von John Green

Anthropozän - das Zeitalter des Menschen, in dem dieser einer der größten Einflüsse auf den Planeten hat und diesen grundlegend verändert (in Oberfläche, Atmosphäre, etc.).

Das Zeitalter, in dem wir leben, hat spätestens seit der Erfindung des Internets eine Dynamik angenommen, die wir kaum noch kontrollieren können. In einer immer schnelleren Welt, in der Informationen keine tagelange Recherche in Bibliotheken mehr in Anspruch nehmen, sondern nur noch einen Klick entfernt sind, ist die 5-Sterne Bewertung ein wichtiger Faktor, wenn wir die Attraktivität einer Sache einschätzen wollen. 

John Green benutzt diese Bewertungsskala um in 'Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?' verschiedene Dinge seines Lebens zu bewerten. Das Buch fußt auf einem gleichnamigen Podcast, den er zusammen mit seinem Bruder gemacht hat. 

Die bewerteten Dinge im Buch sind relativ zusammenhanglos und in einer beliebigen Reihenfolge. Es geht unter anderem um Getränke, Spiele, Filme, Sehenswürdigkeiten, Personen, Ereignisse, Veranstaltungen und Krankheiten. Der letzte Aspekt spielt vielleicht in zweifacher Hinsicht eine wichtige Rolle, denn Green schreibt dieses Buch einerseits, nachdem er eine persönliche gesundheitliche Krise überstanden hat, anderseits schreibt er es im Schatten einer andauernden globalen Pandemie. Das könnte dem Buch einen traurigen, rückschauenden Ton verleihen, da man Bewertungen ja auch meistens erst 'nach' den Erfahrungen mit dem Objekt der Bewertung schreibt, man könnte also glauben, unsere Zeit ist bald vorbei und Green zieht ein Fazit. Doch obwohl der Corona-Schatten allzeit präsent ist, reitet Green nicht zu sehr darauf rum und verpackt Anspielungen dazu gut in nüchternen, bereits rückschauenden Feststellungen (der Vergleich zur Pest eröffnet in diesem Fall immer eine dankbare Gegenüberstellung) und ironischen Nebensätzen. Dass Green das Buch in diesem Aspekt bereits rückschauend formuliert, liest sich in diesem Fall nicht fatal, sondern hoffnungsvoll. Und wenn dieser eine Aspekt dem Buch schon Hoffnung verleiht, so verleiht der Rest ihm geradezu Euphorie: Die Wahl von Green's Themen ist im höchsten Maße persönlich. Es sind Dinge, die anderen Menschen nichts bedeuten, die man in manchen Fällen noch nicht mal kennt und nie von ihnen gehört hat. Doch wenn Green über ein Videopsiel schreibt, dann schreibt er nicht nur über das Videospiel, sondern zieht eine Analogie zum Wettrennen des Lebens, wenn er von Duftstickern schreibt (ja genau, von DENEN hab ich noch nie was gehört!), dann schreibt er nicht nur über eine Sammlung an Blättchen, er schreibt über die Vor- und Nachteile der Digitalisierung. Wenn er von einer Fotografie schreibt, dann schreibt er nicht nur über ein Bild, sondern über die geschichtlichen Umstände einer ganzen Generation. 

Und so wie eine 5-Sterne Bewertung an sich uns meistens nicht wirklich die Informationen liefert, die wir suchen (es ist vielleicht eine erste Orientierung, aber die meisten schauen danach sicherlich trotzdem in ein paar Text-Bewertungen), ist es die Bewertung an sich auch nicht, um die es Green in seinen Kapiteln geht. Vielmehr lässt er uns an seinen persönlichen Erfahrungen und Einschätzungen teilhaben, in einer überraschenden Offenheit und Verletzbarkeit. Er öffnet uns die Augen für große Zusammenhänge und ordnet unsere Mini-Bedeutsamkeit im globalen und geschichtlichen Großen Ganzen ein. 

Er macht klar, dass das zutiefst Persönliche immer nur im Kontext existieren kann und so ist 'Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?' nach meinem Empfinden vor allem eines: eine Liebeserklärung an die Welt und die Menschen, die in ihr lieben. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob wir das als Gesamtheit verdienen, aber Menschen mit einem Weitblick wie Green, die sicherlich.