Rezension

kurzweilige Reise

Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry
von Rachel Joyce

Bewertet mit 5 Sternen

Harold Fry ist Mitte 60, noch nicht lange im Ruhestand, als er eines Tages einen Brief von seiner ehemaligen Arbeitskollegin Queenie Hennessy bekommt. Er hat 20 Jahre lang nichts von ihr gehört, so dass ihn der Inhalt ihres Briefes umso mehr trifft: Sie schreibt, dass sie Krebs hat und nicht mehr lange leben wird. Harold ist sprachlos und seine Antwort auf ihren Brief fällt eher hilflos aus - was er aber selber merkt. Da ihn diese Nachricht nicht loslässt, läuft er an dem Briefkasten eine Straße weiter vorbei zum nächsten Briefkasten... und zum nächsten... bis ihm klar wird, dass er diesen Brief persönlich zu Queenie bringen will. Allerdings wohnt Harold ganz im Süden Englands, in Kingsbridge, während das Hospiz, in dem Queenie lebt, ganz im Norden in Berwick liegt. Harold hat also eine Reise von 1000 km vor sich - und damit viel Zeit, um beim Laufen nachzudenken...

Ich muss sagen, dass ich mir im Vorfeld unter diesem Buch nicht viel vorstellen konnte. Was soll in einem Buch passieren, dessen wesentlicher Inhalt darin besteht, dass der Protagonist einmal quer durch England läuft, um einen Brief zu überbringen? Doch es passiert eine Menge, angefangen bei den Gedanken, die sich Harold unterwegs macht, seinen unterschiedlichen Tagesformen und den Menschen, denen er begegnet. Aber auch bei seiner Frau Maureen tut sich einiges. Sie bleibt zurück, wundert sich erst mal, wo ihr Mann bleibt, der nur mal eben zum Briefkasten wollte... als er sich dann bei ihr meldet, um ihr von seinem Plan zu erzählen, ist sie verärgert und macht sich über ihn lustig - um in der Folgezeit festzustellen, wie wichtig er ihr ist, obwohl sie sich eigentlich sehr voneinander entfremdet haben.

Das Buch liest sich sehr flüssig und es enthält alle Gefühle, von Freude und Heiterkeit bis zu Trauer, Wut und Schmerz durchlebt man alles mit Harold und/oder Maureen, wenn auch unabhängig voneinander. Dazu kommen die verschiedenen Menschen, die Harold unterwegs begegnen, ihre Lebensgeschichte oder ihre Probleme mit ihm teilen und an die er immer wieder denken muss. Es ist ein Buch, das zum Nachdenken anregt, wo man im Leben welche Prioritäten setzt und warum, welche Konsequenzen sich daraus ergeben, wie manches anders verlaufen könnte... Dabei hilft auch die Authentizität von Harold und Maureen. Beide haben Momente, in denen man sich fragt, was gerade in sie gefahren ist und beide haben Momente, in denen man sie einfach nur gerne in den Arm nehmen und bei ihnen sein möchte.

Fazit: Dafür, dass ich mir zunächst nichts unter dem Buch vorstellen konnte, bin ich jetzt restlos überzeugt und werde mir den Nachfolger "Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry" bald zulegen.