Rezension

Tschick - mein Held!

Tschick - Wolfgang Herrndorf

Tschick
von Wolfgang Herrndorf

Ich kann mich nicht erinnern, wie ich irgendwann auf die Idee gekommen bin, Jugendbücher zu lesen. Ich weiß nur, dass es sich immer wieder lohnt, aufmerksam in die meist hinterste Ecke einer Buchhandlung zu gehen, um im Reich der Jugendbücher einzutauchen. Dabei liegt mein Hauptaugenmerk auf den Romanen, die in der realen Welt spielen. 
Ich kann nichts damit anfangen, wenn irgendwelche Kobolde durch die Gegend fliegen und womöglich noch zaubern können. Vielleicht fehlt mir hier einfach die ausreichende Fantasie. Meine Oma hat schon damals zu mir gesagt: "Kind, lies bloß nicht son Spökerkram, das wird man nur tütelig von." Daran habe ich mich dann auch gehalten!

Ich ging also vor einer Weile mal wieder in meine ortsansässige Buchhandlung, mit dem Wunsch, einen Jugendroman mit nach Hause zu entführen. Da ich kein spezielles Buch kaufen wollte, lies ich mich von der Buchhändlerin beraten. Sie zählte einige Romane auf, die ich ihrer Meinung nach schon alle gelesen haben müsste, aber dem war nicht so. "Tschick" von Wolfgang Herrendorf hatte ich noch nicht gelesen, auch wenn die Buchhändlerin mich ungläubig anschaute. 
Doch wer bitteschön ist "Tschick"?
Tschick ist ab sofort mein heimlicher Schwarm und gleichzeitig Held. Tschick ist genau der Junge, den ich in meinem Leben immer hätte finden wollen. Ein Junge, der so cool daher kommt, dass das Buch mir den Atem geraubt.
Andrej Tschichatschow, der es von der Förderschule bis aufs Gymnasium geschafft hat, kommt als Neuling in die Klasse von Maik Klingenberg. Da Maik seinen Namen nicht aussprechen kann, hat Andrej schnell einen neuen Namen weg, nämlich einfach Tschick.

Maik, bis dato der einzige Außenseiter in der Klasse. muss sich fortan nicht mehr mit seiner Rolle als eigenwilliger Kauz allein abgeben, denn auch Tschick gesellt sich schnell hinzu. Nun also gibt es zwei Außenseiter in der Klasse. Während Maik nach eigener Aussage mehr als nur ein Langweiler ist, jedoch aus wohlhabenden Hause kommt, ist Tschick das totale Gegenteil. Er wohnt in einer sozialschwachen Gegend, besitzt einen geklauten Wagen und lebt sein Leben nach seiner Fasson. 
Während Maiks Mutter sich auf einer zweiwöchigen Entziehungskur befindet und Maiks Vater sich während dieser Zeit mit anderen Damen vergnügt, beginnt für Maik zum ersten Mal ein so anderes, aufregendes Leben. Denn da ist Tschick - und mit Tschick kommt nicht nur der Ärger, sondern vor allem auch Leben in Maiks bis dahin triste Welt. 
In Tschicks geklautem Auto machen sich die beiden auf in Richtung Walachei. Während Maik nicht einmal glaubt, dass es diese Gegend überhaupt gibt, fährt Tschick einfach los, ohne genau zu wissen, welchen Weg er von nun an einschlagen muss.
 
Wie in einem Roadmovie machen die beiden sich auf den Weg.
Sie lernen nette und weniger nette Leute kennen, werden verfolgt, fahren im Kreis, finden aber vor allem sich selbst und ihre Freundschaft zueinander und, was ganz wichtig ist, lernen das Leben kennen. Auch wenn nicht alles das was sie sie tun rechtens ist, so sind diese Grenzüberschreitungen für sie persönlich von hoher Wichtigkeit! Und damit nicht genug, denn auch an die große Liebe hat der Autor gedacht.
 
Ich liebe Roadmovies, wenngleich ich nicht viel vom fernseh gucken halte. Umso schöner, dass Herrndorf es schafft, einen Roadtrip auf Papier zu bringen.  Tschick, mit seinem so lebhaft, schnodderigen Ton und sein Kumpel Maik haben  mich vom ersten Augenblick an fasziniert. Wolfgang Herrndorf versteht es einfach zu und zu gut, sich in die beiden Romanhelden, hineinzuversetzen.
Und obwohl die beiden aus Familien kommen, in denen sie es mit Sicherheit nicht leicht haben, mangelt es der Geschichte nicht an dem, was den Roman davor bewahrt, ins Triviale gleiten zu lassen, nämlich, Humor und die besondere Ausdruckskraft der beiden Charaktere.
Wie gern wäre ich diesen beiden Protagonisten doch im wahren Leben begegnet. Von der ersten bis zur letztes Zeile, habe ich mir gewünscht, dass die Geschichte von Maik und Tschick nicht enden möge. In seiner kompletten Länge hat mich dieser Roman gefesselt, bezaubert, mich schmunzeln und auch nachdenklich werden lassen. Für viele ist es vielleicht unvorstellbar, sich auf einen derartigen Trip zu begeben. Wäre ich den beiden begegnet, ich wäre ich sofort mit in den geklauten Wagen gesprungen. Ein Buch voll von Härte, Wärme, Witz und Traurigkeit und auf jeden Fall ein Muss für alle Deutschlehrer, die ihren Schülern auch mal etwas anderes gönnen wollen, als Kafka und Co.! Die Schüler werden es ihrem Lehrer danken!