Rezension

Vom Gefühl, nicht in das eigene Leben hineinzupassen

Kindheit
von Tove Ditlevsen

Tove Ditlevsen wächst in den 1920er Jahren als Tochter eines Heizers und einer Hausfrau in Kopenhagen auf. Sie lebt in ärmlichen Verhältnissen, die Beziehung zu ihren Eltern und ihrem Bruder ist distanziert. Ihre Mutter ist eine harte Frau, die keine Liebe zeigt. Mit ihrem Vater teilt sie die Begeisterung für Bücher, doch er hat klare Vorstellungen davon, welche Lektüre angemessen ist. Als er arbeitslos wird, belastet das die angespannte Familiensituation noch weiter. Tove ist intelligent, nachdenklich und hat oft dass Gefühl, nicht in ihr eigenes Leben hineinzupassen. Ihr Wunsch, Schriftstellerin zu werden, scheint unerreichbar. Aufs Gymnasium darf sie nicht gehen, stattdessen soll sie in einem fremden Haushalt arbeiten, bis sie heiraten und Kinder bekommen wird.

„Kindheit“ ist der erste Teil der autofiktionalen Kopenhagen-Trilogie, die erstmals komplett auf Deutsch vorliegt. Tove Ditlevsen schildert ihre frühen Jahre bis zu ihrem Schulabschluss und ihrer Konfirmation mit vierzehn Jahren. Dabei ist die Ich-Erzählerin genau ein Jahr jünger als die gleichnamige Autorin. Von der ersten Seite an faszinierte mich die poetische Sprache, mit der sie ihre triste Kindheit schildert und mich als Leserin ganz nah an sich heran ließ.

Das Buch hat nur knapp über 100 Seiten, doch jeder Satz ist wohlüberlegt. Sie hält ihre Beobachtungen und Gefühle auf eine kluge, oft philosophische Weise fest, die dazu einlädt, länger bei ihren zu verharren. Schon als Kind schreibt sie heimlich Gedichte in ihr Poesiealbum, viele handeln von der Liebe. Noch entspringen sie vor allem der Sehnsucht und nicht der Erfahrung. Die im Buch abgedruckten Werke lassen den Kontrast zwischen Toves einfachem Leben und ihren Träumen noch deutlicher zutage treten.

Für die wilden Spiele der anderen Kinder kann Tove kein Verständnis aufbringen. Mit der mutigen, frechen Ruth zieht sie eine Weile durch die Straßen, doch auch von ihr entfremdet sie sich zunehmend. Auch wenn sie vorerst nicht selbst über ihr Leben bestimmen kann, hält sie an der Hoffnung fest, eines Tages ihre Werke verkaufen zu können. Das Buch ist traurig und berührend, gleichzeitig konnte die Autorin mich mit ihrer Art und Weise des Erzählens fesseln. Ich bin gespannt auf die weiteren Bände der Trilogie.